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Das Neue bleibt beim Alten

Ich bin irgendwie fett geworden. Das ist Nummer eins. Aber okay, kein Wunder, wenn man kein Sport machen kann und das Essen besteht hier nur aus Salz, Zucker und Geschmacksverstärker.
Nummer zwei ist, dass ich gerade heute (mal wieder) gedacht habe ‚Schön, meine Mückenstiche sind endlich weg‘, da surrt schon wieder so ein Vieh des nachtens um mein Ohr herum.

Heute waren es über 20°C. Ich konnte es ja fast nicht fassen. Wir haben ein großartiges Dachterrassencafé entdeckt, das direkt bei uns um die Ecke liegt. Außerdem war ich Falafel essen bei Menschen, die ein Falafelrestaurant in ihrer Wohnung haben. Also, literally. Man geht durch einen Innenhof, dann noch einen, dann drückt man ein paar Türen ein und klingelt und dann steht man in einer Wohnung, die nach Tee und Falafel duftet, Katzen schmiegen sich an deine Beine und es ist alles ganz furchtbar urig.

Ach ja, und dann war da noch gestern. Gestern ist ein wenig eskaliert. Nach der Uni (Examen, bäh) textete ich Tanja, weil ich keinen Schlüssel hatte, denn ich dachte, vielleicht können wir Kaffee trinken gehen, dann muss ich niemanden belästigen. Aber Tanja antwortete nicht. Es war jedoch so schön sonnig und warm draußen, dass ich einfach nicht nach Hause wollte, also fragte ich Zoe, ob sie mit mir Mittagessen wolle. Wollte sie. Wir kehren also bei Dve Palochki ein und unser Blick streift 1,1 l Long Island Ice Tea. Nun, diese Geschichte mit überdimensional großen Long Island Ice Teas kam mir aus dem letzten Jahr noch irgendwie bekannt vor. „Dumme Idee“, sagte ich. „Ja, total“, fügte sie hinzu, „Wer bestellt schon sowas?“ „Wir?“ „Ja, ok.“. Aus 1,1 l Long Island Ice Tea wurde ein ausgedehnter Pub Crawl, bei dem wir 6 Bars und jeweils einen Gin Tonic pro Bar abrissen.

Zum Schluss waren wir im Poison, wie immer, sangen ganz fürchterlich und schief Mardy Bum und This Fire (ein Song, der irgendwie gar keinen Text zu haben scheint außer ‚This fire is out of control, I’m gonna burn this city, burn this city‘). Dann gab Zoe auf und ging nach Hause, ich ging zu Tanja. Jedenfalls wollte ich das, aber ich war noch nie da, und mein Handy hatte irgendwann den Geist aufgegeben, und ich war unsicher, wo ich hinmusste. Also klingelte ich einfach auf gut Glück irgendwo, wo ich ihren Wohnort vermutete. Die Stimme, die aus dem Fernsprecher ertönte, klang unbekannt und ich war ein wenig verunsichert. Noch verunsicherter wurde ich, als mir zwar die Haustüre, nicht jedoch die Wohnungstür geöffnet wurde und ich ein wenig verloren im Treppenhaus herumstreunerte. Als ich schon aufgeben wollte und die Stufen wieder hinunterstieg, erklang von irgendwoher gottgleich eine Stimme: Was, hat niemand aufgemacht? Versuch’s noch mal! Du musst lauter klingeln! In meinem betrunkenen Zustand und ohne offensichtliche Personen im Treppenhaus war meine erste Reaktion zunächst Verwirrung. Dann realisierte ich, dass ich neben einer dunkel getönten Glasscheibe stand, hinter der eine Art Concierge saß. Es stellte sich am Ende heraus – ich hatte die richtige Wohnung gefunden.
Doch mein Glück währte nicht lange, nach kurzer Einkehr traf Stacey ein und zwang mich, mit ihr Brücken gucken zu gehen. Zu dem Zeitpunkt war es 3. Nach einem Pub Crawl, der 6 Bars umfasste, mag das vielleicht früh klingen, aber wir haben um 4 angefangen. Stacey und ich jedenfalls gingen erst mal in eine Bar. In der ich mir jedoch nur ein Wasser bestellte, weil ich eine verantwortungsvolle Erwachsene bin. Wir sind dann zu den Brücken, nur um festzustellen, dass die Sonne zwar schon aufgeht, die Palastbrücke aber geschlossen war, und ich außerdem überhaupt nichts sehen konnte. Da ich nicht erwartet hatte, so dermaßen lange unterwegs zu sein, hatte ich nämlich nur meine Sonnenbrille (mit Stärke) mit. Ich habe also die ganze Zeit zwischen Dunkelheit und Scharfsicht oder hell und verschwommen gewechselt. Und versucht, Photos zu machen, aber mein Handy hat immer noch Epilepsie (das Display wird alle zwei Sekunden grau und verschwimmt, wie ein gestörter Fernsehbildschirm) und man kann nicht allzulange drauf starren.

Lange Rede, kurzer Sinn: gestern war spaßig. Wir sind dann noch ein bisschen an der Neva spaziert und heim, der Fluss liegt nicht weit von unserer Wohnung.

Oh, ich habe gerade die Mücke getötet.

Flauschige Riesen-Enten sind übrigens nicht prototypisch.

Ah, und Stacey und ich waren Sonntag im Kino und haben Wonder Woman geschaut. Danach haben wir „Eis für Erwachsene“ ausprobiert, also Eis mit Alkohol. Koko Loko hieß meine Kreation und schmeckte nach Kokosnusslikör. Stacey hatte irgendwas, das nach Stout schmeckte. Es war unerträglich süß und danach war ich tatsächlich irgendwie leicht angetrunken. Leicht genug um sich im Cornershop um die Ecke (höhö) noch ein IPA (Gangster) zu gönnen.

Tausend Worte gehen schnell um, wenn man über Müll schreibt wie Gefühle und was die Tage so passiert ist. Aber wenn man ein Essay über die Geschichte des Internets schreibt, dann fühlen sich 1000 Worte an wie eine Ewigkeit. Wo ich gerade davon rede, ich sollte noch ein Essay schreiben. Verdammt.

Ich habe heute auch eine Note gekriegt für meinen Russischunterricht hier (der schrecklich war), ich wusste nicht mal, dass der bewertet wird, aber ich bekam 8/10 Punkte, was auch immer das heißen mag.

Es gibt kein deutsches Verb für das Wort to litter.

Welsh is going great. Ich freue mich auf meine Radtour. Meine Pläne nehmen immer mehr Gestalt an.

Ich habe angefangen, 13 Reasons Why zu schauen. Ich habe das Gefühl, dass die einzelnen Folgen irgendwie nie zum Punkt kommen und dann sind sie zu Ende und man denkt sich so: und was ist jetzt genau passiert?

Ich muss immer noch Kram über Zypern übersetzen. Langsam bin ich Zypern-Experte, aber ich habe auch wirklich unglaublich wenig Motvation und es dauert ewig. Es ist nicht nur langweilig, das Problem ist, dass fast jeder Satz auf Englisch grammatikalisch so verzerrt ist, dass man überhaupt nicht weiß, worum es geht und man erst mal stundenlang darüber nachdenken muss. Oder die Satzstruktur ist invertiert auf eine Art, die im Englischen einfach keinen Sinn macht und wenn man dann fertig ist mit lesen muss man alles neu schreiben.

Zoe kann manchmal unglaublich engstirnig sein. Wir hatten heute eine Diskussion über Grammatik. Zoe sagte „Can you pass me the paper towels, please?“, woraufhin Stacey sagte „I don’t know, can I?“ und ich meinte „God, I hate it when people do that“ and Zoe said „What?“ and I said „Because you’re supposed to say ‚May I have the paper towels, please?'“, darauf hinweisend, dass es theoretisch gesehen grammatikalisch inkorrekt ist in diesem Zusammenhang ‚can‘ zu benutzen. Das hat sie überhaupt nicht eingesehen und gemeint, dass das ja jeder so sagte, und dann müsse es ja richtig sein, weil sich Sprache verändert. Und wir erwiderten dann ‚Ja, natürlich, es ist umgangssprachlich verständlich und wird nicht als Fehler interpretiert, nichtsdestotrotz ist es theoretisch gesehen einfach falsch‘. Das hat sie nicht verstanden. Dann meinte ich „Im Russischen zum beispiel Пошли anstatt Поидём zu sagen ist auch nicht richtig, aber es tun trotzdem alle.“ und Stacey fügte hinzu „Oder один или одно кофе“ – das Beispiel hat Zoe dann richtig gefuchst, sie meinte dann, dass один кофе einfach nicht richtig ist, obwohl das ja alle sagten, das klinge ja ganz schrecklich und Leute sollten grammatikalisch korrekter sprechen. Daraufhin habe ich mich dann mental in eine Ecke geschmissen und angefangen laut zu weinen. In Realität habe ich einfach meinen Laptop aufgeklappt und Vokabeln gelernt.

Das Witzige ist ja, dass das von einer Person kommt, die sich selbst für unglaublich klug und aufgeklärt etc hält. Ich mag Zoe wirklich gern – aber eben weil sie einfach ist. Ich erinnere mich daran, wie wir, als wir The Dutch Guy kennengelernt haben, eine Diskussion über die Zukunft und Roboter hatten. Das heißt, Vincent und ich hatten diese Diskussion und Zoe saß neben uns und hat zugehört. Und damit meine ich, dass sie wirklich genau gar nichts zu der Konversation beigetragen hat. Hinterher meinte sie zu mir, sie hätte das Gespräch sehr genossen und sie liebe es, so intelligente Unterhaltungen zu führen, es käme leider nur zu selten vor. Woraufhin ich mich wieder mental in die Ecke geschmissen habe, und vor meinem geistigen Auge leuchtete eine Reihe rotblinkender Fragezeichen auf.

Aber nun, die Selbstwahrnehmung mancher Menschen ist merkwürdig. Und meine eigentlich auch.

Geradeauslaufen

Das Leben von jemandem, der zum Entspannen Walisisch lernt und mit dem Stuhl kippelnd, UKF Liquid Drum & Bass Radio hörend, Übersetzungen über zypriotische Strände anfertig, wie sieht das aus?
Hier entlang bitte. So sehen nämlich die meisten meiner Tage aktuell aus. Ich tobe mich bei den doch eher eintönigen Übersetzungen auch ein bisschen kreativ aus. Da reihen sich keine „Blumen und Bäume entlang des Pfades an“, sondern „am Pfad stehen Blumen und Bäume Spalier“, jawohl. Hier herrscht nämlich noch Ordnung.

Am Donnerstag im Café Afrika habe ich mit jemandem gesprochen, mit dem ich offensichtlich schon vorigen Donnerstag geredet habe, an den ich mich aber nicht mehr erinnern konnte. Er hat mir eröffnet, das, als er mich das erste mal gesehen hatte, er überzeugt gewesen sei, ich müsste Russin sein, denn man hatte ihm gesagt, außerhalb Russlands gäbe es keine hübschen Frauen. Entschuldigung für die Enttäuschung.

Dieselbe Richtung: den Nevsky mit einer amerikanischen Freundin hinunterwandernd hält uns plötzlich ein Kerl an und redet aufgeregt auf Englisch auf uns ein. „Woher kommst du?“, fragt er, und man antwortet: „aus Colorado.“ „Du klingst aber gar nicht so dumm“, sagt der Mann und führt fort „In Colorado gibt es ja nur Landwirtschaft und Ackerbau“.

Heute ist день города, Tag der Stadt, Piters Geburtstag. Der Nevsky ist voll, aber dann wiederum – der Nevsky ist immer voll. Nichtsdestotrotz war ich heute wagemütig und begab mich in die Fänge des Ethnologischen Museums, ein Freund von mir tanzte dort. Übrigens derselbe Freund, mit dem ich letztes Jahr litauische Volkstänze getanzt und danach zu viele Whiskey-Shots gestürzt habe. Es war interessant, aber nicht spannend, also gibt es auch nicht viel zu berichten.

Meine Perspektive auf Dinge ist dieses Jahr ein wenig anders als letztes Jahr. Aber ich laufe auch nicht mehr Hand in Hand taumelnd durch die Straßen. Das nächtliche Sankt Petersburg verschwimmt diesmal nicht hinter einem Schleier von Trunkenheit und Liebe und Aufregung, es verschwimmt, wenn überhaupt, im Regen. Ich habe diesen Ort der Magie zu einem Ort der Gewohnheit gemacht – zu einem Zuhause. Vielleicht habe ich dieses alles verschlingende Verlangen, zurück zu kommen, erstickt – und das ist gut, es macht mich freier.

Letztens habe ich aus meinem Fenster heraus einen Regenbogen beobachtet, siehe Bild.

Ich würde gerne leiser machen, aber kann ich nicht.

Immerhin

Schon, ich ärgere mich ein bisschen darüber, dass ich dieses Jahr so faul bin mit schreiben. Aber mir fehlt die Energie, mir fehlt die Lust, momentan fehlt mir die Zeit. Es ist endlich sommerlich geworden auf der Straße, man kann die Jacke getrost zu Hause lassen, und die Sonne scheint bis elf, nur, um um drei schon wieder aufzugehen. Ich mache auch keine Fotos, ich fühle mich nicht nach Kamera, ich kenne ja auch schon das meiste hier. Ich laufe auch nicht mit meinem Apparat in Berlin rum, warum würde ich das tun, ich wohne da? Genau so hier – warum sollte ich das tun, ich wohne hier. Wir saßen heute im Park, Zoe, Stacey und ich, beobachteten Enten und Katzen, tranken Wein und aßen Pizza, ganz entspannt. So kann das Leben weitergehen, so fühle ich mich wohl.

An Staceys Geburtstag waren wir in einem georgischen Restaurant, Rero. Es gab Unmengen an Essen, закуски und хачапури und Wein, Granatapfelwein, wir haben ein bissschen übertrieben. Zoe, Martin und ich haben den halben Tisch immer wieder dazu verführt, more wine! zu trinken, hinterher waren wir alle ganz fürchterlich betrunken, wir haben mit den Besitzern getanzt, georgische Volkstänze, die neben uns haben Hochzeit gefeiert, wir hatten eine Rechnung von 2,000 Rubeln – über 30€ pro Person. Danach sind wir in einen gay Club gegangen, der am anderen Ende der Stadt liegt. Es war nett, aber es macht keinen Spaß, keine Kreditkarte zu haben, so hatte ich nur noch 300 Rubel, und 100 davon musste ich an der Garderobe lassen. Auf dem Rückweg sind wir in eine Prügelei geraten und unser Taxifahrer ist falsch herum in eine Einbahnstraße abgebogen. Aber wir sind alle sicher nach Hause gekommen. Unsere Wohnung entwickelt sich auch zur Unterkunft für Gestrandete, jede Woche schläft hier irgendjemand zusätzliches. Es ist okay. Es ist auch gut, nicht mehr so viel allein zu sein, aber es ist zu viel. Seitdem Stacey hier wohnt war ich nie mehr als zwei, maximal drei Stunden allein, außerdem schnarcht sie, das ist alles recht anstrengend. Gestern habe ich meinen Rückflug gebucht, von Helsinki, weil wir ja Ende Juni erst auf dieses Festival fahren. Über Riga, aber na ja. Jetzt ist es auch nur noch ein Monat. Mit der kurzen Unterbrechung in New York und Berlin bin ich seit über fünf Monaten hier. Und ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich gemacht habe. Walisisch gelernt. Mein neues Hobby. Immerhin. Manchmal passieren witzige Dinge, die ich hier aber nicht hinschreiben kann, weil sie Insider sind und sie keiner versteht. Zum Beispiel, wenn Stacey убирут убирут убирут summend schwungvoll einen Müllsack in die Tonne wirft. Oder wenn Zoe droht, auszuziehen und all ihre Sachen hierzulassen.

Ach ja, wir haben jetzt eine Wand. Mit Bildern und Schleifen und Bierdeckeln und Weinkorken und allem. Es war Staceys Idee. Stacey ist ein bisschen Boss, aber das ist okay. Mein Depressionszustand ist ein ewiges auf und ab, aber immerhin liege ich nicht mehr den ganzen Tag schreiend unter der Bettdecke. Immerhin.

Ich möchte schreiben über alles, was ich denke, darüber, wie’s mir geht, wie ich mit anderen und mir selbst und wie andere mit mir und sich selbst umgehen. Wie das so ist, wenn man bipolar ist und Leute das nicht verstehen und dann einfach ohne Grund aufhören, mit dir zu reden. Und warum es nicht komisch ist, dass man nachts allein betrunken im Dunkeln Walisisch lernt, weil die Monotonie dessen so beruhigend ist. Warum es okay ist, dass man mitten auf dem Nevsky einen Anflug von Panikattacke verspürt und ganz plötzlich nach Hause muss, wenn man nichts zum festhalten hat. Dass man manchmal nicht zur Uni kann und stattdessen draußen herumwandert und Musik hört. Wie kann man mit sich selbst im Reinen sein, wenn es doch niemand anders ist? Es ist schwer, sich zu sagen, dass es okay ist, wenn dir jeder sagt, dass es das nicht ist. Aber es ist okay. Man muss sich das nur immer wieder vor Augen halten. Ich weiß das. Eigentlich.

An meinem Geburtstag hatte ich ein paar Leute eingeladen. Ich wollte ja eigentlich nicht feiern. Aber einige kamen eben trotzdem. Ich hatte auf acht geladen, um neun saßen wir immer noch Zuhause und aßen Nudeln, also kam die Gesellschaft erst mal zu uns. Dann sind wir in die Bar um die Ecke, nur um festzustellen, dass eigentlich gar keiner Geld hat, um tatsächlich etwas zu trinken. Also saßen wir einfach nur da. Und saßen. So eine Dreiviertelstunde. Und bestellten nichts. Schließlich wurde es uns dann doch zu blöd und wir gingen wieder heim. Das heißt, Zoe, Stacey und ich gingen heim, die anderen gingen zur Metro. Ich weiß nicht, ob ich das in retrospektive nicht doch irgendwie schon wieder lustig finde, in dem Moment jedenfalls war es schrecklich. Nächstes Jahr fahre ich wieder irgendwo hin, das macht doch viel mehr Sinn. Ist nur schwierig, wenn man gerade in Russland ist, keine Kreditkarte hat und auch sonst weder Geld noch Möglichkeiten. Ich habe Bücher geschenkt gekriegt, immerhin.

Oh, und meine Mutter war ja da. Aber das lasse ich lieber unerwähnt.

„Ich war so traurig, ich wollte einfach nur kiffen“

I like you. You like me. We hang out together. Why can’t it work like that? Why does it always have to be complicated? Why is there always mutual misunderstanding, miscommunication and confusion up until the point where nobody cares anymore? Because that’s the thing with people. They don’t care. Nobody is interested in anybody anymore. There are so many of them, and keeping contact, or getting access to new people is so easy, that it simply doesn’t matter anymore. If I’m not with you, I’m with somebody else, simple as that. There are no boundaries, no limitations.

Man kann nicht jeden in seinem Leben behalten. Manche Menschen sind wie verlorengegangene Puzzleteile. Man dreht und dreht und schiebt und drückt bis man einsehen muss, dass es einfach nicht passt. Du bist in der falschen Box gelandet, ich sortiere dich aus. Aber irgendwo in diesem riesen Berg liegt genau das Teil, was ich suche, genau das Stück, das passt. Man darf nur nicht aufgeben.

Ich war in Berlin für ein paar Tage und es war schön. Die Zeit verging wie erwartet unendlich schnell und ich war kontinuierlich beschäftigt. Aber ich habe auch Sankt Petersburg vermisst und mich darauf gefreut, wieder zurück zu kommen. Jetzt bin ich hier und kann mich wieder voll und ganz meinem Hass hingeben. Ich liebe diese Stadt, aber so vieles hier macht mich wahnsinnig. Die Leute, die zu unfähig sind, geordnet in eine Bahn zu steigen. Die Gehwege, die so schmal sind, dass keine zwei Personen aneinander vorbeigehen können ohne auf die Straße auszuweichen. Aber das alles ist okay, damit kann ich leben, aber mit dieser Uni, mit der werde ich einfach nicht fertig. Ich will hierbleiben, unbedingt, aber ich weiß gerade einfach nicht wie, denn so kann ich wirklich nicht studieren. Dieses ganze Hin- und Hergerenne für nichts, das ist nur Wasser auf die Mühlen, je mehr man sich bemüht, desto mehr geht man unter. Und jedes gelöste Problem zieht mindestens drei neue mit sich. Man sagt mir, ich soll die Uni hier schmeißen und als Lehrer arbeiten, aber ich bin nicht so eine. Wer könnte sich schon mich als Lehrer vorstellen?

Всё течёт, течёт, течёт.

Regen

Im Bett sitzend warte ich panikerfüllt darauf, dass Zoe mit ihrem Teller aus der Küche wiederkommt. In diesem Moment bin ich unendlich dankbar für den riesigen Schrank, der das Zimmer in zwei Hälften teilt und mir so ein paar Sekunden gibt, um mich zu sammeln. Es ist fast wie ein absurdes Bild aus einer drittklassigen Sitcom – auf der einen Seite des Schranks sitzt Zoe am Tisch und isst Pilzsuppe. Auf der anderen Seite sitze ich in meinem Bett und kämpfe meine Depressionen runter. Als es dann plötzlich an der Tür klopft und ihre Freundin Maya erscheint breche ich dann endgültig zusammen und verlasse fluchtartig die Wohnung auf der Suche nach ein bisschen Ruhe.

Draußen regnet es, es ist dunkel. Scheinwerferlicht blendet, grün-rote Ampelmännchen und Neonschilder irritieren mich während ich rastlos durch die Straßen wandere. Immer weiter, weiter, entlang dieses riesig breiten Flusses, der dunkel und bedrohlich träge neben mir her fließt. Ich wäre gern allein um schreiend alles rauszulassen und Luft zu atmen, aber man kann nicht allein sein in dieser chaotischen Stadt. Tropfen tanzen vor meinen Augen und lassen Reflektionen in meinen Brillengläsern zu unerkenntlichen Schemen verschwimmen. Wo bin ich?

Die einzigen Menschen, die mir außerhalb von Autos entgegenkommen, sind glücklich lachende Pärchen und ein Jogger. Warum haben diese glücklich lachenden Pärchen nichts besseres zutun als um 11.30h nachts im Regen durch die Kälte zu laufen?

Auf der Brücke stehen zwei Männer in orangenen Anzügen und bespritzen das Geländer mit Hochdruckreiniger. Ebenfalls im Regen.

Als ich die Metrolinie wechsle steht am Gleis ein Mädchen und singt aus voller Kehle. Schief und schrecklich, aber sie scheint fröhlich zu sein – fröhlich, und wahrscheinlich betrunken.

Auf meinem Weg nach Hause kriege ich eine Nachricht von Zoe, die sich Sorgen macht und mich fragt, ob ich aus bleibe oder zurückkomme. Als ich die Küche betrete begrüßt sie mich teekochend mit „Honey, I love you so much!“. Ich lege meinen Einkauf – Schoko-Bons, Schokoladenmüsli, Milchschnitte, Schokokekse – auf den Thresen. Irgendwie muss man diese verlorenen Endorphine ja wieder herstellen.

Vor dem zu Bett gehen schaue ich die letzte Folge Californication und finde es irgendwie beruhigend.

Gute Nacht, Du.

 

He probably didn’t want to fuck you, anyway

Ich habe gestern ein neues Portemonnaie gekauft. Endlich. Meins begann kurz nach meiner Ankunft hier, gänzlich auseinander zu fallen, und seitdem war ich auf der Suche. Gestern hatte ich genug. Es war eine dieser typischen „Oh Gott, ich bin schon wieder überfordert“-Situationen, in denen mich eine Verkäuferin anquatscht und ich nicht weiß, was ich tun soll, und dann 40€ im Laden liegen lasse für einen Geldbeutel, der nicht mal ansatzweise so aussieht, wie ich mir das vorgestellt hatte. Egal, ich bin trotzdem glücklich damit, endlich wieder Ordnung in meinen analogen Finanzen.

Außerdem habe ich heute meinen Facebook-Account deaktiviert. Deaktviert nur, nicht gelöscht, vielleicht kommt das noch, ich bin ja auch ein Feigling, impulsives explosives Schritt-Für-Schritt – ich hatte genug von all den Phantomgestalten mit denen man ab und an mal schreibt, aber wiedersehen wird man sie doch nicht. Diejenigen, auf die es ankommt, haben meine Nummer.

In meinem E-Mail-Briefkasten war die Absage für das Deutschlandstipendium, weil ich ein Loser bin.

Ansonsten habe ich diese Woche frei und es ist ein interessantes Auf und Ab – Dienstag ging’s mir erst schlecht, dann habe ich Bananen Sojamilch gefunden und das rettete meinen Tag. Gestern war ich unerwartet produktiv, denn ich habe mir nicht nur ein neues Portemonnaie besorgt, sondern arbeitete auch an meiner Hausarbeit. Heute wollte ich das dann forsetzen, aber war nicht drin. Morgen dann. (Haha.)

Was gestern auch passiert ist: ich bin mit Zoe und Judith in eine Bar in der Nähe gegangen. Ich trank Tee, die beiden Cocktails. Es war nicht spannend, aber als wir wieder Zuhause waren durfte ich Zoe dabei beobachten, wie sie Tomaten und Cornichons aus dem Glas isst und das Wasser dazu trinkt und genüsslich die Augen dabei schließt. Das fand ich dann schon wieder unglaublich Russisch.

Dass ich meinen Facebook-Account gelöscht habe heißt wohl auch, dass mein kurzes Stelldichein mit Glyn wohl endgültig beendet ist, denn ich sehe ihn nie irgendwo, ausnahmsweise ist er mal ein Mensch, dessen Freundeskreis mit meinem nicht komplett identisch ist. Und dass er mich anruft, davon ist wohl nicht auszugehen. Aber mal sehen, vielleicht ist er ja doch für eine Überraschung gut. (Haha².)

Ich wünschte, es würde aufhören, so kalt zu sein. Es scheint zwar momentan recht oft die Sonne, aber seltsamerweise schneit es auch, oder regnet, oder hagelt, und meistens ist es so um die 2°C.

Heute Abend wieder Café Afrika. Poison. Klassiker. Ich dachte immer, ich sei ein bisschen süchtig nach Couchsurfing, aber Zoe ist viel schlimmer.

Na ja. Was soll man sagen.

Was so Wunderliches passiert

Russland ist ja ein Land voller Merkwürdigkeiten. Ein Land voller Wunderlichkeiten, ein Land zum Augenrollen, Naserümpfen, Augenbrauen hochziehen.

Ich bin vor zwei Wochen umgezogen, raus aus dem Wohnheim, rein in die Kommunalka. Noch russischer kann man wohl kaum wohnen. Wir, das heißt meine Zimmermitbewohnerin Zoe und ich, leben hier zusammen mit fünf anderen Parteien. In der Küche stehen vier Herde, im Bad vier Waschmaschinen, und jeder hat seinen eigenen Toilettendeckel. Aber wir haben 25qm ganz für uns allein, plus Abstellkammer, und jetzt endlich auch Internet. Außerdem bin ich nicht mehr auf die Metro angewiesen, was wahrscheinlich das beste an der ganzen Sache ist. Nun, zumindest nicht, wenn ich nicht gerade zur Uni fahre. Die ist ja am anderen Ende der Welt.

Aber was passiert sonst noch so Seltsames?
Seltsam ist, wenn man an der Kasse steht, auf dem Band liegen Bananen, Reis, Brot, Wasser, eine Packung Gojibeeren (die merkwürdigerweise hier recht beliebt zu sein scheinen) und der Kassierer nimmt die Packung Gojibeeren, murmelt etwas Unverständliches und schmeißt sie einfach weg.
Seltsam ist, wenn man im Hof von einer Frau angequatscht wird, die dich fragt, wie sie den Akku in ihr Handy einzusetzen hat – es ist ihr gerade in der Treppe runtergefallen – es aber perfekt hinkriegt, und eigentlich überhaupt nicht auf deine Hilfe angewiesen ist.
Seltsam ist, wenn man sich mit Obdachlosen, die im Keller gegenüber wohnen, anfreundet, weil dein Kumpel nicht mit zu dir nach Hause durfte.
Seltsam ist, zu erfahren, dass man hier nach elf im Supermarkt keinen Alkohol mehr kaufen kann.
Seltsam ist, wenn man in seiner Stammkaraokebar rumhängt, jemand dir erzählt: „Hey, ich stell dir mal die und die vor, die ist auch aus Deutschland!“, und es stellt sich heraus, dass sie mit dir zusammen studiert.
Seltsam ist auch, wenn man in eben genannter Bar ist, von der Bühne runtergeht und auf einmal liegen auf deinem Tisch zwei Packungen Pistazien.
Seltsam ist ebenfalls, wenn man in der Bar gegenüber rumhängt und der Barkeeper einfach kommentarlos dein Bier die ganze Zeit nachfüllt – mit der Begründung, dass man ja gegenüber wohnt und wohl öfter vorbeikommen wird. Und man dann anstatt um zwei um sechs Zuhause ist.

Aber manchmal trifft man in dieser Bar auch jemanden, den man mag, jemanden, mit dem man sich dann später wieder trifft, ein paar schöne Momente teilt, dann um 8.00 morgens nach Hause kommt und Nudeln mit Ketchup essend in der Küche sitzt und plötzlich geht die Tür auf und dein Nachbar kommt rein und frühstückt. Du gehst ins Bett, stehst drei Stunden später wieder auf und bewaffnest dich dann mit Sonnenbrille und Safttrinkpäckchen, um dich mit deinen Freunden zum Sushi zu treffen.

Manchmal möchte man aber auch einfach nur einen Brief versenden und muss sich dann rechtfertigen, warum man kein Fotoshooting im Anschluss möchte und auch seine Nummer nicht dem Posttypen geben will. Manchmal steht man vor einer Bar, tauscht sich aus über Geschichten von sexuellen Übergriffen und dann kommt ein besoffener Typ vorbei und grabscht einfach deine Hüfte.
Manchmal ist man einfach nur voller Hass auf all die Leute, die zu blöd sind, die Metro vernünftig zu benutzen und überall im Weg rumstehen. Überhaupt voller Hass auf die Enge, denn egal, wo man gerade ist, wo ein Gang ist, da ist auch ein Mensch drin, der ihn komplett versperrt. Manchmal sind sogar die Gehwege so eng, dass man auf einer Seite warten muss, bis entgegenkommende Personen an einem vorbeigelaufen sind.

In manchen Momenten liebt man aber auch einfach nur seine Mitbewohnerin dafür, dass sie immer das gleiche kauft wie man selbst und dann drei verschiedene Packungen Granola und 20 Eier im Schrank stehen.

Und manchmal, da ist eben einfach nur alles irgendwie okay.

Der Prozess

Man merkt, ich bin nicht sonderlich motiviert über meinen Russlandaufenthalt zu berichten. Das liegt einerseits daran, dass ich erst mal damit beschäftigt war, die Scherben meiner Erinnerungen zusammen zu kehren. Und andererseits daran, dass ich dafür im Gegenzug fleißig versuche, alle Puzzleteile in meinem Kopf neu zusammen zu fügen.
Der verzweifelte Kampf mit der Organisation meiner Uni ist ein Kampf gegen Windmühlen, den ich inzwischen aufgegeben habe. Dann kann ich eben nicht die Texte für meine Seminare lesen. Dann gehe ich eben nicht zur Vorlesung, wenn sie schon wieder auf einen anderen Zeitpunkt verschoben wurde. Dann feiere ich halt solange, bis die Metro morgens wieder fährt und komme dann um 7.30 nach Hause, setze mich in die Küche und schlinge Nudeln mit Ketchup in mich hinein, während der Typ neben mir frühstückt. Bewältigungsstrategien. Aber, immerhin: ich habe eine neue Wohnung gefunden. Das Zimmer teile ich mir mit einer Freundin, die Küche ist riesig, unsere Kammer hat 25m². Stadtzentrum, Metro-Jackpot Sennaya/Sadovaya/Spasskaya. Der Koffer ist schon halb gepackt, in den nächsten Tagen werde ich umziehen. Ich weiß nicht, genau, worauf ich warte; momentan darauf, dass meine Wäsche trocknet. Außerdem brauche ich noch Bettwäsche. Und ich möchte nicht alleine sein an diesem neuen, unbekannten Ort, denn Zoe muss noch ein paar Tage warten, bis sie ausziehen kann. Also kann ich mich auch noch ein wenig in Geduld üben.
Noch bin ich nicht ganz glücklich, ein paar düstere Schatten wabern noch in meinem Kopf herum. Doch es geht bergauf, stetig, langsam, Stück für Stück. Natürlich verschwende ich meine Zeit, aber was soll man sonst mit seinem Leben anfangen?

Weichenarbeiten

Ich war natürlich mal wieder viel zu früh am Flughafen. Nach dem letzten Desaster an Sylvester, wo ich fast meinen Flug verpasst hatte, weil SXF nicht auf den großen Ansturm vorbereitet war (ehrlich, wer hätte auch damit rechnen können, dass an Neujahr viele Leute verreisen?), wollte ich diesmal alles entspannt angehen. So entspannt, dass ich zwei Stunden hatte, um den Flughafen ausgiebig zu inspizieren. SXF ist kein großer Flughafen. Nach zehn Minuten war ich fertig, und die restliche Zeit verbrachte ich mit wütendem Warten. Aber dafür hatte ich drei Sitze für mich alleine, und die Sitze in den Aeroflot-Maschinen sind breit, also konnte ich auch breit sein.

Dann geschieht wieder zwei Stunden nichts, die Maschine rattert gemütlich über den Wolken seinem Ziel entgegen. In Petersburg werde ich angenehmerweise schon erwartet, und, was für eine Überraschung, es klappt tatsächlich alles reibungslos bis ich in meinem Wohnheimbett allein gelassen werde. Es erinnert doch alles sehr an Zehlendorf, nur irgendwie gemütlicher, dafür muss ich mein Zimmer aber auch mit jemand anderem teilen.
Ich beginne sofort, bei Airbnb nach freien Zimmern zu suchen. Ich bin am Ende der Welt von Sankt Petersburg, Obukhovo, davon habe ich vorher noch nie etwas gehört. Es ist nichts in der Nähe, weder Bar noch Fluss noch Leben, die beiden Kühlschränke sind zum bersten gefüllt und als ich den kleinen Laden um die Ecke besuche, schreit man mir entgegen: heute nur Bargeld. Ich habe kein Bargeld. Der Laden hat keinen Bankomat. Ich weiß nicht, wie das Hormon heißt, das für Verzweiflung zuständig ist, aber genau dieses fängt gerade damit an, es sich in meinem Gehirn äußerst gemütlich zu machen. Aber viel Zeit, um darüber nachzudenken habe ich nicht, denn ich muss direkt los zu Vera, um meinen Koffer abzuholen. Auf dem Weg dahin sterbe ich fast vor Hunger, komme aber an keinem Ort vorbei, an dem man fix etwas essen könnte, also muss ich darben. Außerdem ist es schon spät, also trinke ich dort nur einen Tee, wir verabreden uns für Freitag, und Vera fährt mich mit dem Auto bis zur Metro. Wieder dort angekommen, was ich von nun an für die nächsten paar Monate mein Zuhause nennen muss, erwartet mich meine neue Zimmermitbewohnerin. Nachdem ich den leeren Hamsterkäfig über ihrem Bett betrachtet hatte war das Kapitel eigentlich schon für mich erledigt – aber der Tag hielt doch noch eine Überraschung für mich bereit: sie ist ziemlich entspannt drauf. Gerade sitzen wir zusammen, jeder arbeitet vor sich hin – das heißt, sie arbeitet und ich schreibe diesen Artikel – und wir trinken Bier. Morgen fahren wir zusammen zur Uni, damit sie mir zeigen kann, wo das Büro ist, zu dem ich hinmuss. Ich habe inzwischen auch die anderen Menschen aus dem Wohnheim kennengelernt, auch die scheinen nett zu sein. Und es ist eigentlich ganz gemütlich hier. Bis zur Metro ist es nicht weit, und man kann ohne Umsteigen in die Stadt fahren. Ich glaube, ich kann mich dran gewöhnen.

 

// Es ist nur komisch; ich fühle nicht viel. Ich bin eben hier. Bin ich nicht hier, bin ich eben woanders. Das war auch in meiner WG in Berlin so, als ich sie besucht habe. Ich war eben da. Ich war nicht nostalgisch, nicht traurig, ich wohne da eben gerade nicht, mein Zimmer ist nicht mein Zimmer sondern Lennarts. Es ist irrelevant. Und nun bin ich hier. Ich kann damit leben.

С новым годом

Hallo, 2017. Du auch hier? Mein Jahr beginnt diesmal auf einer Datscha, irgendwo im Süden Petersburgs. In meiner Hand ein Glas Sekt mit einer verbrannten Serviette darin, auf der sich meine Neujahrswünsche befinden. Auf dem Tisch steht eine riesige Auswahl an Salaten, Brot und Käse, im alten Steinofen knistern die Holzscheite, im Fernsehen redet Putin.
Früher am Tag haben wir die Hütte dekoriert, ich durfte unseren Tannenbaum schmücken, wobei Tannenbaum hier ein Euphemismus ist: ein toter, sich im Wind biegender Ast, behangen mit ein paar Christbaumkugeln und einer Girlande ist wohl nicht das, was man im Allgemeinen einen Tannenbaum tauft. Der Moment jedoch, in dem ich zum ersten Mal seit Jahren wieder diese Kugeln in der Hand hielt – unbezahlbar. Als hätte sich all meine Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit, nach Familie und Harmonie, nach Routine, nach Ritualen in dieser einen Handlung manifestiert. Weil kein Schnee lag, haben wir uns kurzerhand selbst welchen gemacht mit einer dieser Sprühdosen mit weißem Zeug. Wenn das Neujahrsgefühl nicht zu uns kommt, dann kommen wir eben zum Neujahrsgefühl. Es war schön, weil es so ehrlich war in seiner Einfachheit. Unsere Hütte hatte kein Badezimmer, die Toilette war zehn Meter den Garten hinunter, ein kleines rotes Häuschen. Man musste eine Taschenlampe mitnehmen und durch den Schnee stapfen. Man denkt, man ist darauf vorbereitet, wenn man nachts auf Festivals über Zeltleinen und besoffene Leichen stolpert auf dem Weg zum Dixi, aber es ist doch etwas anderes. Im Sommer schneit es eher selten.
Es war wieder eines dieser Male, bei denen man sich aus der Gesellschaft ausklinkt, nur wir und der Alkohol, kein Internet, keine Zivilisation, kein fließendes Wasser. Es war auch ein bisschen langweilig, manchmal. Was aber auch daran lagt, dass mein Russisch einfach nicht gut genug ist. Deswegen war ich auch ein wenig erleichtert, dass ich heute ein wenig telefonieren konnte, als ich heim kam. Ein wenig. Drei Stunden. *seufz.

Aber was ist eigentlich letztes Jahr passiert?
Letztes Jahr zu Sylvester war ich in Antwerpen, mit Florian. Bei diesem merkwürdigen Couchsurfer, bei diesem Konzert, alles in allem, kann man machen. Danach dieser plötzliche Impuls: selbst wenn das mit der Eremitage nicht klappt, ich gehe nach Russland. Und dann Bewerbungen, Visaanträge, Untermieter suchen und auf einmal: Город-Герой Ленинград. Diese Unsicherheit am Anfang mit der Sprache, der Stadt, Tanja, der Schule, den Briten. Dieses Ich-Gehöre-Hier-Nicht-Hin-Gefühl, Angst, Depression, und dann: doch. Das hier bin ich. Das hier ist mein. Zwei Monate, die gefühlt kontinuierlich bergauf gingen bis kurz vor Schluss. I can’t do that anymore — If I took a cab right now, does it mean I could have you? — Enjoy the rest of your life, Лупций. Dann Reisen. Gute Erfahrungen sammeln, schlechte Erfahrungen sammeln. Einzigartige Eindrücke, fantastische Augenblicke – und Momente, die ich lieber schnell vergessen will. Erster Tag wieder in Berlin, Sonnenschein, Schlachtensee, Ruderboot, ein Joint mit Logan. Der Semesterstart, holprig, stressig, schwerfällig, aber voller Energie, voller Gelassenheit, voller Lust aufs Leben. Über meinen Geburtstag spontan mit Lea nach Stettin trampen, bei irgendwelchen Barkeepern übernachten und auf dem Weg zurück Radio Brandenburg hören, draußen Regen, drinnen Coffee To Go. Eine Woche später Bristol, Celia, Love Saves The Day, fremde Menschen, fremde Bars, fremde Schlafzimmer. This is the chord of towel-finding und Menschen Sorgen bereiten, die ich nicht mal kenne. Zurück nach London und den in letzter Minute umgebuchten Bus ohne Handy verlassen. Nut-butter-tasting contest, Kiffen in Chelsea, heißes Wasser aus dem Wasserhahn. Und dann endlich: Sommer. In der Uni noch mal reinhauen, dann so oft wie möglich an den See fahren und feiern, feiern, feiern. Noch mal auf nach Polen, Woodstock, Dilated Peoples, Dragonforce, Harmonie. Weiterfeiern, Drogen ausprobieren, auf Wolke Sieben schweben, Zeit totschlagen, immer weiter. Zufällig auf Sabina in der Mensa treffen, zufällig nach Prag fahren, tausend Kilometer laufen und, natürlich, wie sonst, unabsichtlich in David laufen. Kuscheln, küssen, reden, wandern, alles wie immer, nichts hat sich geändert, drei Tage ausharren, dann: Besuch. Wir verlassen nicht das Bett, draußen ist unwichtig, alles ist egal, wir haben unsere eigene Welt. I don’t want to talk to you again. This is it, I guess. Und es geht mir gut, geht mir gut, geht mir gut, ich war ja nie verliebt. Auszeit in der Uckermark, mehr Gras als mein Körper verarbeiten kann, mehr Essen, als jemals jemand notwendig hätte, Stand-Up-Paddling, die Seele baumeln lassen, an nichts denken, weg sein. Vor Semesterbeginn noch mal: reisen. Köln, Nancy, Nizza, Chamonix, durch die Schweiz, Hannover und zurück, Sonne tanken, Aufmerksamkeit genießen, bei Fyn im Bett liegen, glücklich, zufrieden, und denken: Fuck. Ich vermisse dich doch. Aber es ist nicht wahr, natürlich nicht, bis ich diesen Brief finde. Diesen Brief, den ich schrieb in St. Petersburg, den ich David mitgeben wollte, bevor alles irgendwie umgefallen ist, diesen Brief, in dem Sätze stehen wie On a scale from 1 to American History X you’re a Se7en because you’re brutal, man. Und merken: ich will das nicht aufgeben. Wer hat gesagt, ich muss das aufgeben, nur, weil du am anderen Ende der Welt bist? Und anscheinend ging es nicht nur mir so. Vorsichtiges schreiben, dann Skypen, ein bisschen, dann mehr, es hat sich eigentlich nichts verändert. Doch: ich bin offener. Und dann war da noch: Spontanflug nach Bukarest, feiern in irgendeiner Gaybar, die letzten Atemzüge einer goldenen Herbstsonne genießen. Dann mitten im neuen Semester merken: doch, Russisch, das ist es. Und sich plötzlich in neuen Anträgen für Auslandssemester wiederfinden – und dafür, Russisch zu meinem Hauptfach zu machen. Und jetzt bin ich hier. Mein Jahr hat da geendet, wo es letztes Jahr aufgehört hat. 2016, das heißt viel knutschen, kuscheln, viel mir-doch-egal, viel mach-ich-einfach, viel ich-weiß-jetzt-was-mich-glücklich-macht. Depressiv sein, das heißt momentan nicht mehr völlig erdrückt im Bett liegen, wochenlang. Wochen wurden zu Tagen, und völlig erdrückt wurde zu ermattet. Reisen, das heißt nicht mehr ausschließlich weg von, sondern auch hin zu. Und Familie ist nicht nur das, was meine DNA mit vorgibt. Liebe ist nicht nur Sehnsucht, es ist auch Gelassenheit. Und Glücklichsein ist nicht nur Ablenkung, sondern Ruhe finden in allem, was mich umgibt. Ich kann den Lärm in meinem Kopf und um mich herum nicht ausschalten. Aber ich kann ihn hinnehmen.

Übermorgen geht’s nach Moskau, dann weiter nach New York. Dann zurück nach Berlin und wieder nach St. Petersburg. Fehlplanung, die mich Zeit kostet. Fehlplanung, die mich auch viel Geld kostet. Aber das ist okay.

Eigentlich ist alles okay, man muss nur aus dem richtigen Winkel schauen.