Schlagwortdepression

Immerhin

Schon, ich ärgere mich ein bisschen darüber, dass ich dieses Jahr so faul bin mit schreiben. Aber mir fehlt die Energie, mir fehlt die Lust, momentan fehlt mir die Zeit. Es ist endlich sommerlich geworden auf der Straße, man kann die Jacke getrost zu Hause lassen, und die Sonne scheint bis elf, nur, um um drei schon wieder aufzugehen. Ich mache auch keine Fotos, ich fühle mich nicht nach Kamera, ich kenne ja auch schon das meiste hier. Ich laufe auch nicht mit meinem Apparat in Berlin rum, warum würde ich das tun, ich wohne da? Genau so hier – warum sollte ich das tun, ich wohne hier. Wir saßen heute im Park, Zoe, Stacey und ich, beobachteten Enten und Katzen, tranken Wein und aßen Pizza, ganz entspannt. So kann das Leben weitergehen, so fühle ich mich wohl.

An Staceys Geburtstag waren wir in einem georgischen Restaurant, Rero. Es gab Unmengen an Essen, закуски und хачапури und Wein, Granatapfelwein, wir haben ein bissschen übertrieben. Zoe, Martin und ich haben den halben Tisch immer wieder dazu verführt, more wine! zu trinken, hinterher waren wir alle ganz fürchterlich betrunken, wir haben mit den Besitzern getanzt, georgische Volkstänze, die neben uns haben Hochzeit gefeiert, wir hatten eine Rechnung von 2,000 Rubeln – über 30€ pro Person. Danach sind wir in einen gay Club gegangen, der am anderen Ende der Stadt liegt. Es war nett, aber es macht keinen Spaß, keine Kreditkarte zu haben, so hatte ich nur noch 300 Rubel, und 100 davon musste ich an der Garderobe lassen. Auf dem Rückweg sind wir in eine Prügelei geraten und unser Taxifahrer ist falsch herum in eine Einbahnstraße abgebogen. Aber wir sind alle sicher nach Hause gekommen. Unsere Wohnung entwickelt sich auch zur Unterkunft für Gestrandete, jede Woche schläft hier irgendjemand zusätzliches. Es ist okay. Es ist auch gut, nicht mehr so viel allein zu sein, aber es ist zu viel. Seitdem Stacey hier wohnt war ich nie mehr als zwei, maximal drei Stunden allein, außerdem schnarcht sie, das ist alles recht anstrengend. Gestern habe ich meinen Rückflug gebucht, von Helsinki, weil wir ja Ende Juni erst auf dieses Festival fahren. Über Riga, aber na ja. Jetzt ist es auch nur noch ein Monat. Mit der kurzen Unterbrechung in New York und Berlin bin ich seit über fünf Monaten hier. Und ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich gemacht habe. Walisisch gelernt. Mein neues Hobby. Immerhin. Manchmal passieren witzige Dinge, die ich hier aber nicht hinschreiben kann, weil sie Insider sind und sie keiner versteht. Zum Beispiel, wenn Stacey убирут убирут убирут summend schwungvoll einen Müllsack in die Tonne wirft. Oder wenn Zoe droht, auszuziehen und all ihre Sachen hierzulassen.

Ach ja, wir haben jetzt eine Wand. Mit Bildern und Schleifen und Bierdeckeln und Weinkorken und allem. Es war Staceys Idee. Stacey ist ein bisschen Boss, aber das ist okay. Mein Depressionszustand ist ein ewiges auf und ab, aber immerhin liege ich nicht mehr den ganzen Tag schreiend unter der Bettdecke. Immerhin.

Ich möchte schreiben über alles, was ich denke, darüber, wie’s mir geht, wie ich mit anderen und mir selbst und wie andere mit mir und sich selbst umgehen. Wie das so ist, wenn man bipolar ist und Leute das nicht verstehen und dann einfach ohne Grund aufhören, mit dir zu reden. Und warum es nicht komisch ist, dass man nachts allein betrunken im Dunkeln Walisisch lernt, weil die Monotonie dessen so beruhigend ist. Warum es okay ist, dass man mitten auf dem Nevsky einen Anflug von Panikattacke verspürt und ganz plötzlich nach Hause muss, wenn man nichts zum festhalten hat. Dass man manchmal nicht zur Uni kann und stattdessen draußen herumwandert und Musik hört. Wie kann man mit sich selbst im Reinen sein, wenn es doch niemand anders ist? Es ist schwer, sich zu sagen, dass es okay ist, wenn dir jeder sagt, dass es das nicht ist. Aber es ist okay. Man muss sich das nur immer wieder vor Augen halten. Ich weiß das. Eigentlich.

An meinem Geburtstag hatte ich ein paar Leute eingeladen. Ich wollte ja eigentlich nicht feiern. Aber einige kamen eben trotzdem. Ich hatte auf acht geladen, um neun saßen wir immer noch Zuhause und aßen Nudeln, also kam die Gesellschaft erst mal zu uns. Dann sind wir in die Bar um die Ecke, nur um festzustellen, dass eigentlich gar keiner Geld hat, um tatsächlich etwas zu trinken. Also saßen wir einfach nur da. Und saßen. So eine Dreiviertelstunde. Und bestellten nichts. Schließlich wurde es uns dann doch zu blöd und wir gingen wieder heim. Das heißt, Zoe, Stacey und ich gingen heim, die anderen gingen zur Metro. Ich weiß nicht, ob ich das in retrospektive nicht doch irgendwie schon wieder lustig finde, in dem Moment jedenfalls war es schrecklich. Nächstes Jahr fahre ich wieder irgendwo hin, das macht doch viel mehr Sinn. Ist nur schwierig, wenn man gerade in Russland ist, keine Kreditkarte hat und auch sonst weder Geld noch Möglichkeiten. Ich habe Bücher geschenkt gekriegt, immerhin.

Oh, und meine Mutter war ja da. Aber das lasse ich lieber unerwähnt.