MonatMai 2017

Vorbeizeit

Der Tag heute kommt mir so unendlich lang vor, dabei habe ich nicht das Gefühl, großartig etwas gemacht zu haben. Ich war in der Uni und hatte Russisch, gut, das allein reicht schon, um den Tageshöchstgrad an Erschöpfung auszufüllen. Ich habe die Wohnung gewischt und meine Wäsche gewaschen, außerdem eine E-Mail an die Auslandskoordinatorin hier geschickt – es ist ja bald Zeit, meine Bescheinigungen zusammenzusammeln. Bald ist Abreisetag. Mai war der letzte volle Monat, den ich hier hatte. Ich kann es noch gar nicht so recht glauben – nach all dem auf und ab – nach all den Zweifeln.. Gestern waren wir im Park. Ich habe zufälligerweise Menschen in der Uni getroffen. Menschen, die ich kenne. Zumindest einen Menschen, einen meiner geliebten Co-Redakteure von der Freistuz. Dann haben wir Wein getrunken und Pizza gegessen und entspannt. Ich will so viele Dinge tun. Aber ich will auch viel im Bett liegen. Ich will alles und nichts. Wie immer.

Ich habe gestern Abend ein Gedicht geschrieben. Es ist natürlich, wie immer, fürchterlich tragisch.
Ich rezitiere:

Your footsteps sweep away the dust
I hear the creaking of that door
A portrait in a broken frame is lying on the floor
But I guess that after each and all
The soul wanders where it must

For comfort now and hope and glimmer,
I light a candle in my hand
A neat reflection of my thought, an expression where I stand
The flame dances like mad and me, I’m staring in the mirror

The voice inside me fills the void
But my patchwork heart just shattered
And fragments of my memories are violently scattered

If only I could say „I love you“,
If only I could say „I care“
And it would make it matter
But it doesn’t,
It doesn’t.

Keine Ahnung, kein Problem

Ich war die erste, die auf der Feier erschien. Im Bus habe ich mir noch Gedanken gemacht, dass ich zu früh sei – obwohl ich schon eine halbe Stunde zu spät war. Aber wer erscheint schon pünktlich auf Parties? Das Bild, das sich mir beim Betreten der Wohnung darlegte, rief mir direkt ein unabsichtliches Schmunzeln ins Gesicht: Während Matias am Laptop herumfummelte, um die passende Musik rauszusuchen, saß Ava in eine Decke eingewickelt mit ihrem Hund auf dem Schoß auf dem Sofa. Ich lachte, schüttelte den Kopf, öffnete mir ein Bier, verstaute den Rest im Kühlschrank und setzte mich. Dann klingelte es. Menschen watschelten einer nach dem anderen ins Wohnzimmer. Der Raum füllte sich. Innerhalb von einer halben Stunde war es auf einmal voll, alle redeten wirr hin und her, innerhalb einer weiteren Stunde war ich auch voll, in tausend Gespräche verwickelt und mein Bier aus dem Kühlschrank leer.

Ich kann nicht wirklich in vernünftigen Worten wiedergeben, was gestern passiert ist. Erst saßen alle gemütlich herum, dann war auf einmal Party. Leute tanzten, kippten Drinks um, aßen Snacks, fütterten den Hund. Zoe hat sich irgendwann im Nebenzimmer ins Bett gelegt und ist eingeschlafen. Ich lag auf dem Boden und habe Dehnübungen gemacht, weil aus dem Nichts mein Bein angefangen hat zu schmerzen. In regelmäßigen Abständen ging jemand die Treppe hinunter, um für Alkoholnachschub zu sorgen. Irgendwann war es plötzlich hell, wir zogen die Vorhänge zu. Um sechs sind wir mit dem Taxi nach Hause gefahren. Zoe ist zur Arbeit gegangen, Stacey und ich nach einer Tasse Tee ins Bett. Die Tasse Tee nach dem Feiern ist bei mir obligatorisch. Jetzt ist es zehn Uhr, ich sitze im Sessel, übersetze und schreibe diesen Text, während Zoe mir gegenüber auf der Couch liegt und immer noch schläft. Den Tag haben wir mit Chinesischem Lieferessen verbracht. Es ist immer noch hell. Ich erwähne das wieder und wieder, bis ich irgendwann darauf klarkomme. Colloquial German incoming. Stacey hat es sich offensichtlich zur Mission gemacht, mir bei der Suche nach Walisisch Sprechern behilflich zu sein. Dabei habe ich herausgefunden, dass Glyn noch in Petersburg ist, weil er kein chinesisches Visum bekommen hat. Keine Pointe. Wertvolle Information? Keine Ahnung.

Morgen ist schon wieder Montag. Man muss nicht immer produktiv sein, aber es hilft. Alles dreht sich im Kreis. Und dann wieder, und wieder, und wieder, und wieder. Eine Uhr. Die Zeiger stehen falsch. Konfus.

Geradeauslaufen

Das Leben von jemandem, der zum Entspannen Walisisch lernt und mit dem Stuhl kippelnd, UKF Liquid Drum & Bass Radio hörend, Übersetzungen über zypriotische Strände anfertig, wie sieht das aus?
Hier entlang bitte. So sehen nämlich die meisten meiner Tage aktuell aus. Ich tobe mich bei den doch eher eintönigen Übersetzungen auch ein bisschen kreativ aus. Da reihen sich keine „Blumen und Bäume entlang des Pfades an“, sondern „am Pfad stehen Blumen und Bäume Spalier“, jawohl. Hier herrscht nämlich noch Ordnung.

Am Donnerstag im Café Afrika habe ich mit jemandem gesprochen, mit dem ich offensichtlich schon vorigen Donnerstag geredet habe, an den ich mich aber nicht mehr erinnern konnte. Er hat mir eröffnet, das, als er mich das erste mal gesehen hatte, er überzeugt gewesen sei, ich müsste Russin sein, denn man hatte ihm gesagt, außerhalb Russlands gäbe es keine hübschen Frauen. Entschuldigung für die Enttäuschung.

Dieselbe Richtung: den Nevsky mit einer amerikanischen Freundin hinunterwandernd hält uns plötzlich ein Kerl an und redet aufgeregt auf Englisch auf uns ein. „Woher kommst du?“, fragt er, und man antwortet: „aus Colorado.“ „Du klingst aber gar nicht so dumm“, sagt der Mann und führt fort „In Colorado gibt es ja nur Landwirtschaft und Ackerbau“.

Heute ist день города, Tag der Stadt, Piters Geburtstag. Der Nevsky ist voll, aber dann wiederum – der Nevsky ist immer voll. Nichtsdestotrotz war ich heute wagemütig und begab mich in die Fänge des Ethnologischen Museums, ein Freund von mir tanzte dort. Übrigens derselbe Freund, mit dem ich letztes Jahr litauische Volkstänze getanzt und danach zu viele Whiskey-Shots gestürzt habe. Es war interessant, aber nicht spannend, also gibt es auch nicht viel zu berichten.

Meine Perspektive auf Dinge ist dieses Jahr ein wenig anders als letztes Jahr. Aber ich laufe auch nicht mehr Hand in Hand taumelnd durch die Straßen. Das nächtliche Sankt Petersburg verschwimmt diesmal nicht hinter einem Schleier von Trunkenheit und Liebe und Aufregung, es verschwimmt, wenn überhaupt, im Regen. Ich habe diesen Ort der Magie zu einem Ort der Gewohnheit gemacht – zu einem Zuhause. Vielleicht habe ich dieses alles verschlingende Verlangen, zurück zu kommen, erstickt – und das ist gut, es macht mich freier.

Letztens habe ich aus meinem Fenster heraus einen Regenbogen beobachtet, siehe Bild.

Ich würde gerne leiser machen, aber kann ich nicht.

In beliebiger Reihenfolge

Ich war heute allein. Ich bin aufgewacht und war allein. Dann habe ich mich mit jemandem in der Uni getroffen, der meine Hilfe benötigte, einen Film zu schauen. Also schaute ich einen zweistündigen Film über David, einen Juden, der von Polen nach Berlin nach Wien flieht und übersetzte ihn auf Englisch/Russisch für eine Packung Kekse. Zuhause war ich dann wieder allein. Ich war so lange nicht mehr ohne jegliche Nebenpräsenz in diesem Zimmer, ich habe diesen Tag herbeigesehnt, ihn erwartet, erhofft und jetzt – bin ich allein. Und ein bisschen aufgeschmissen.

Ich habe heute ein neues Rezept ausprobiert zu dem mich Stacey inspiriert hat: Chinakohl mit Karotten und Zwiebeln in Sesamöl geröstet und in Sojasoße gedünstet. Dazu „italienisch“ (was auch immer das in Russland heißen mag) eingelegten, angebratenen Tofu. Und, ja, es war unglaublich lecker. Das mache ich ab jetzt häufiger (sagte sie und machte das Gericht nie wieder). Ich will mehr schreiben. Ich will mich mehr dem Schreiben widmen. Irgendwer muss es ja tun. Irgendwann will ich ja auch davon leben.

Ich sitze/liege gerade auf dem Sofa und esse sowas ähnliches wie Gummibärchen. Als Vegetarierin isst man nicht oft sowas ähnliches wie Gummibärchen, vor allem, wenn man eigentlich keine Gummibärchen mag, aber das hier ist lecker. In Himbeerform gepresster Erdbeer- und Apfelsaft. Warum in Himbeerform? Weil IKEA das so entschieden hat. Ich sollte mir eine größere Community für meinen Blog anschaffen, aber ich bin zu schüchtern. Niemand ist je Autor vorm schüchtern sein geworden, denke ich, und vielleicht fehlen deswegen so viele Dinge in der Literatur. Leute, die einfach schonungslos ehrlich und realistisch sind. Nicht dieser wischi-waschi Quatsch. Leute wie Grossmann. Leute wie Beecher Stowe. Nicht mal ich bin ehrlich und realistisch, wenn ich ehrlich bin. Ich lüge die ganze Zeit, sogar hier, sogar mir selbst gegenüber, sogar wenn ich eigentlich gar nicht lügen will, dann habe ich einfach die Wahrheit vergessen.

Ich werde meine Kamera verkaufen und mir ein handlicheres Format zulegen. Ich werde eine Fahrradtour durch Wales machen. Ich werde in Californien leben. Ich werde meine Bachelorarbeit schreiben. So, ich habe es gesagt. Jetzt muss ich es tatsächlich tun. Es ist einfacher, wenn man aufhört „Ich will das irgendwann machen“ zu sagen, und sich stattdessen sagt, dass man es auch tun wird. Ich war in New York, weil ich gesagt habe, ich werde nach New York fahren. Ich bin in Sankt Petersburg, weil ich gesagt habe, ich werde in Sankt Petersburg leben. Ich kenne jemanden, der seit acht Jahren in Russland Englischunterricht gibt, weil er nicht mit ansehen konnte, dass sein Freund Russisch spricht und er nicht. Auf die Frage, warum er denn nun Russischunterricht nehme antwortete er mit dem Erstbesten, das ihm einfiel: ich will Englischlehrer in Russland werden. Daraufhin begann sein Umfeld damit, sich regelmäßig zu erkundigen, wann es denn für ihn endlich losgeht, also schrieb er eine Bewerbung, um sagen zu können: Leute, ich habs versucht. Und dann wurde er angenommen. Und dann kam er nie wieder zurück. Jetzt geht er nach China. Ist das nicht inspirierend? Er lebt eine Lüge, die angefangen hat, ihm Spaß zu machen. Ich meine, er ist ein Arschloch und so, das einfach aus dem nichts aufgehört hat, mit mir zu reden, aber trotzdem inspirierend.
Also noch mal: ich werde eine Fahrradtour durch Wales machen. Ich werde in Californien leben. Ich werde meine Bachelorarbeit schreiben.
In beliebiger Reihenfolge.

Immerhin

Schon, ich ärgere mich ein bisschen darüber, dass ich dieses Jahr so faul bin mit schreiben. Aber mir fehlt die Energie, mir fehlt die Lust, momentan fehlt mir die Zeit. Es ist endlich sommerlich geworden auf der Straße, man kann die Jacke getrost zu Hause lassen, und die Sonne scheint bis elf, nur, um um drei schon wieder aufzugehen. Ich mache auch keine Fotos, ich fühle mich nicht nach Kamera, ich kenne ja auch schon das meiste hier. Ich laufe auch nicht mit meinem Apparat in Berlin rum, warum würde ich das tun, ich wohne da? Genau so hier – warum sollte ich das tun, ich wohne hier. Wir saßen heute im Park, Zoe, Stacey und ich, beobachteten Enten und Katzen, tranken Wein und aßen Pizza, ganz entspannt. So kann das Leben weitergehen, so fühle ich mich wohl.

An Staceys Geburtstag waren wir in einem georgischen Restaurant, Rero. Es gab Unmengen an Essen, закуски und хачапури und Wein, Granatapfelwein, wir haben ein bissschen übertrieben. Zoe, Martin und ich haben den halben Tisch immer wieder dazu verführt, more wine! zu trinken, hinterher waren wir alle ganz fürchterlich betrunken, wir haben mit den Besitzern getanzt, georgische Volkstänze, die neben uns haben Hochzeit gefeiert, wir hatten eine Rechnung von 2,000 Rubeln – über 30€ pro Person. Danach sind wir in einen gay Club gegangen, der am anderen Ende der Stadt liegt. Es war nett, aber es macht keinen Spaß, keine Kreditkarte zu haben, so hatte ich nur noch 300 Rubel, und 100 davon musste ich an der Garderobe lassen. Auf dem Rückweg sind wir in eine Prügelei geraten und unser Taxifahrer ist falsch herum in eine Einbahnstraße abgebogen. Aber wir sind alle sicher nach Hause gekommen. Unsere Wohnung entwickelt sich auch zur Unterkunft für Gestrandete, jede Woche schläft hier irgendjemand zusätzliches. Es ist okay. Es ist auch gut, nicht mehr so viel allein zu sein, aber es ist zu viel. Seitdem Stacey hier wohnt war ich nie mehr als zwei, maximal drei Stunden allein, außerdem schnarcht sie, das ist alles recht anstrengend. Gestern habe ich meinen Rückflug gebucht, von Helsinki, weil wir ja Ende Juni erst auf dieses Festival fahren. Über Riga, aber na ja. Jetzt ist es auch nur noch ein Monat. Mit der kurzen Unterbrechung in New York und Berlin bin ich seit über fünf Monaten hier. Und ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich gemacht habe. Walisisch gelernt. Mein neues Hobby. Immerhin. Manchmal passieren witzige Dinge, die ich hier aber nicht hinschreiben kann, weil sie Insider sind und sie keiner versteht. Zum Beispiel, wenn Stacey убирут убирут убирут summend schwungvoll einen Müllsack in die Tonne wirft. Oder wenn Zoe droht, auszuziehen und all ihre Sachen hierzulassen.

Ach ja, wir haben jetzt eine Wand. Mit Bildern und Schleifen und Bierdeckeln und Weinkorken und allem. Es war Staceys Idee. Stacey ist ein bisschen Boss, aber das ist okay. Mein Depressionszustand ist ein ewiges auf und ab, aber immerhin liege ich nicht mehr den ganzen Tag schreiend unter der Bettdecke. Immerhin.

Ich möchte schreiben über alles, was ich denke, darüber, wie’s mir geht, wie ich mit anderen und mir selbst und wie andere mit mir und sich selbst umgehen. Wie das so ist, wenn man bipolar ist und Leute das nicht verstehen und dann einfach ohne Grund aufhören, mit dir zu reden. Und warum es nicht komisch ist, dass man nachts allein betrunken im Dunkeln Walisisch lernt, weil die Monotonie dessen so beruhigend ist. Warum es okay ist, dass man mitten auf dem Nevsky einen Anflug von Panikattacke verspürt und ganz plötzlich nach Hause muss, wenn man nichts zum festhalten hat. Dass man manchmal nicht zur Uni kann und stattdessen draußen herumwandert und Musik hört. Wie kann man mit sich selbst im Reinen sein, wenn es doch niemand anders ist? Es ist schwer, sich zu sagen, dass es okay ist, wenn dir jeder sagt, dass es das nicht ist. Aber es ist okay. Man muss sich das nur immer wieder vor Augen halten. Ich weiß das. Eigentlich.

An meinem Geburtstag hatte ich ein paar Leute eingeladen. Ich wollte ja eigentlich nicht feiern. Aber einige kamen eben trotzdem. Ich hatte auf acht geladen, um neun saßen wir immer noch Zuhause und aßen Nudeln, also kam die Gesellschaft erst mal zu uns. Dann sind wir in die Bar um die Ecke, nur um festzustellen, dass eigentlich gar keiner Geld hat, um tatsächlich etwas zu trinken. Also saßen wir einfach nur da. Und saßen. So eine Dreiviertelstunde. Und bestellten nichts. Schließlich wurde es uns dann doch zu blöd und wir gingen wieder heim. Das heißt, Zoe, Stacey und ich gingen heim, die anderen gingen zur Metro. Ich weiß nicht, ob ich das in retrospektive nicht doch irgendwie schon wieder lustig finde, in dem Moment jedenfalls war es schrecklich. Nächstes Jahr fahre ich wieder irgendwo hin, das macht doch viel mehr Sinn. Ist nur schwierig, wenn man gerade in Russland ist, keine Kreditkarte hat und auch sonst weder Geld noch Möglichkeiten. Ich habe Bücher geschenkt gekriegt, immerhin.

Oh, und meine Mutter war ja da. Aber das lasse ich lieber unerwähnt.

404 potatoes not found

„Do you want some potaotes?“
„No thanks“
„….“
„Have you already eaten?“
„No, only breakfast“
„….“
„I put some potaotes to boil“
„Okay“
„…..“
„….“
„The potatoes are ready now. What are you going to eat it with?“
„I don’t want potatoes“
„Why don’t you want potatoes?!“
„I’m not hungry!“
„Why did you tell me to boil potatoes then?!“

Unannehmlichkeiten

Es ist bitter, wenn deine Kreditkarte gestohlen wird.
Es ist bitterer, wenn deine Kreditkarte im Ausland gestohlen wird.
Es ist noch bitterer, wenn deine Kreditkarte im Ausland gestohlen wird in einer Woche voller Feiertage, in der man auch kein Geld überweisen kann, weil die Banken nicht arbeiten.
Es ist noch viel bitterer, wenn deine Kreditkarte im Ausland gestohlen wird während Feiertage sind und man in der Zeit Miete bezahlen muss.
Und es ist am bittersten, wenn deine Kreditkarte im Ausland gestohlen wird während Feiertage sind, man in der Zeit Miete bezahlen muss und alle deine Freunde (und Mitbewohner) pleite sind.

Und dann will man rausgehen und Eisessen mit seinen letzten 100 Rubel und der Bus kommt nicht und es sind sechs Grad und es ist Anfang Mai und man denkt sich nur: warum?
Ich kann diese Kälte langsam nicht mehr ertragen. Der Reißverschluss meiner Jacke ist kaputt gegangen. Und jetzt habe ich noch 34 Rubel in der Tasche. Davon kann ich mir zwei Baguettes im Late-Night-Ausverkauf der Bäckerei nebenan kaufen.

Na ja.

Beobachtungen, Teil 234123

Während ich mit einem Freund die Rubinshteyna hinunterlaufe, rennt mir eine Frau hinterher und ruft „Devushka, devushka!“. Dann erzählt sie mir völlig außer Atem, dass mein Rock verrutscht sei. Ich bedanke mich, sie nickt und geht wieder davon.

Ein Mann rennt einer Tram hinterher. Stop. Anfahrt. Stop. Anfahrt. Er rennt und erreicht die Bahn. An der nächsten Station steigt er aus. Von meinem Platz auf dem Gang beobachte ich das wirre Treiben und schüttle langsam den Kopf.

Das Champions League Finale in Cardiff stattfinden zu lassen ist wie all deine im Rollstuhl sitzenden Freunde zum Tanzabend einzuladen.

Ich habe mir gerade das Komplettwerk von H.P. Lovecraft runtergeladen. Es wurde mir angeboten, während ich für mein Mayakovsky Referat recherchierte.

Als ich mit Zoe durch die Halle der Metrostation Sadovaya laufe, kommt uns ein Typ entgegen, streckt mir die Zunge raus und macht „Bähhh“. Keine Pointe.

Auf der Rolltreppe ziehe ich meinen Schal aus und verstaue ihn in meinem Rucksack. Plötzlich höre ich, wie mir von rechts jemand „Сука!“ ins Ohr flüstert. Immer noch keine Pointe.

Dass mir meine Tasche am Freitag geklaut wurde ist unpraktisch, aber vielleicht ist das auch nur ein Zeichen dafür, dass ich gehen soll.