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Sleep is for the weak

„You know what, I feel really happy. Not just on the outside, but really, completely, sincerely, genuinely happy. Like the shadow inside my head is gone for a while.“ „Well, in America we have a word for that.“ „Which is?“ „Drunk!“

Aber das ist nicht wahr, ich fühle mich nicht betrunken. Okay, gut, in dem Moment, in dem ich das sagte, war ich betrunken. Aber ich dachte es auch am Tag danach. Und am Tag danach. Ich denke es fast jeden Tag, wenn ich im Sonnenschein zur Arbeit gehe. Mir geht es hier wirklich gut und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich das, was man wohl im Allgemeinen zufrieden nennt.

Geschlüpft ist der Gedanke auf Chilääns Abschiedsrunde. Er schrieb „Um Acht in der Bar.“ dann schrieb er „Ich bringe noch wen mit.“ und dann „Ich rufe dich an, wenn ich losgehe.“ Bis Acht hatte niemand angerufen. Um halb Neun schrieb ich ihm eine SMS. Um Neun bekam ich die Nachricht, er sei jetzt unterwegs. Also setzte auch ich mich in Bewegung. In der Bar traf ich unerwartet auf Ami, der anscheinend die Begleitung darstellte, doch von Chilään keine Spur. Es stellte sich heraus, dass Ami seit c.a. anderthalb Stunden auf uns wartete, während sich Chilään fröhlich verspätete und ich Zuhause auf Neuigkeiten wartete. Na ja. Happens. Der Abend an sich verlief bierlastig, als ich an den Punkt kam, an dem ich mich ziemlich betrunken und fertig fühlte und bereit war zu gehen, lernten wir plötzlich die netten Russen vom Nebentisch kennen und ich sah mich dazu gezwungen, mit ihnen eine weitere Runde zu trinken. Wir verließen die Bar dann auf Aufforderung des Personals, закрываемся, wir schließen. Ups.

Samstag war auch so ein Abend. Ich war erst arbeiten, weil wir zu irgendeinem Event geladen wurden, auf welchem zwei meiner Mitvolontärinnen und ich dann gefragt wurden, ob wir Griechen seien. Klar. Jedenfalls wurden die Andere Neue und ich zum Essen eingeladen von ein paar Couchsurfing Leuten. Ich erwartete so fünf Personen. Wir waren c.a 25 und okkupierten das gesamte Restaurant. Es gab Hot Pot und ich habe mit Stäbchen gegessen und nach 30-minütigem Kampf hat es auch irgendwann geklappt, aber ich habe noch nie so lange gebraucht, um satt zu werden. Nach dem Essen verabschiedete sich die Andere Neue. Ich wollte eigentlich auch gehen, ließ mich aber „auf ein Bier um die Ecke“ überreden, schließlich waren wir nicht weit von meinem Haus entfernt. Aus einem Bier wurden zwei, auf einmal gab es Shots und als es dann hieß was nun? war ich plötzlich mit einem Russen, dessen Namen ich nicht wusste und einem in New York lebenden Chinesen, dessen Namen ich auch nicht wusste, der für mich einfach nur „der mit der verrückten Kokain-Story“ war, in einem schäbigen Hotel irgendwo im Zentrum der Stadt. Die verrückte Kokain-Story erklärt sich folgendermaßen: er vermietet im großen Stil Wohnungen über airbnb. In einer dieser Wohnungen lebte bis vor kurzem ein Mädchen, das auf einmal krass koksabhängig wurde, ein Loch in die Wand schlug, versuchte, vom Dach zu springen und dann ins Krankenhaus geliefert wurde. Sie wurde aus offensichtlichen Gründen rausgeschmissen. Das mit dem Hotel erklärt sich durch die Story: der Hong-Kong-Mann wollte mit dem Freund des Kokainmädchens telefonieren und die Geschichte klären. Derweil tranken der unbekannte Russe und ich seinen Alkoholvorrat aus. Wir wollten dann Freunde vom Hong-Kong-Mann in einer Bar treffen. Es stellte sich heraus, dass das auch meine Freunde waren. Ferner stellte sich heraus, dass die Bar zu voll war und wir deshalb nicht mehr eintreten konnten. Es war zwei Uhr morgens, wir wurden zum Salsa eingeladen und gingen dann doch weiter in einen Club. Dort trafen wir allerlei Proletariat, unter Anderem einen Typen aus Deutschland. Diese Deutschen, die sind aber auch wirklich überall. Kurzum, nach mehreren Stunden netter Unterhaltung und schwitzigen Tänzen zu schrecklicher Musik war ich dann so gegen Sieben im Bett. Guten Morgen.

Sonntag dachte ich dann: ich schlafe aus und dann lerne ich ein bisschen, aber im Endeffekt war ich mit der Anderen Neuen shoppen. Ich habe ein Kleid gekauft, ich liebe es, es ist warm, gemütlich und wunderschön. Am Montag habe ich mir einen Block gekauft, mich an die Neva gesetzt, meine Jacke ausgezogen, die Sonne genossen und gezeichnet. Entspanntes Leben, entspannte Freizeitbeschäftigungen. Auch entspannt: mein langersehnter Besuch ist endlich da. Kommunikationstechnisch gab es einiges Hin- und Her und ich habe bereits jetzt mein ganzes Guthaben verbraucht. Aber das macht nichts. Donnerstag gehen wir wieder mal ins Theater, diesmal gibt es Schwanensee. Aufregend. Samstag bin ich eingeladen, um klassische litauische Tänze zu lernen. Посмотрим. Wir werden sehen.

You’re brutal, man

Es gibt sicherlich bessere Fotos, aber ich wollte meinem Blog meinen Arbeitsplatz nicht vorenthalten. Durch dieses herrschaftliche Tor schreite ich seit Dienstag jeden Morgen, nachdem ich zwanzig Minuten am glitzernden Band der Neva entlang gelaufen bin. Nun, genau genommen wollte ich Montag anfangen. Doch als ich gut gelaunt am dvorzovaja ploschadj stand, stelle ich fest: das Tor ist zu. In meinen Erinnerungen wühlend wurde mir klar, dass die Eremitage Montags geschlossen ist, aber ich fand in meiner E-Mail keinen Hinweis auf einen Nebeneingang oder sonstiges. Die Website konnte ich nicht besuchen, weil mein Handy sie für einen Virus hielt. Also musste ich im Büro anrufen. Ich. Anrufen. Klar. Meine erste Frage also вы по-англиски говорите? – Sprechen Sie Englisch? – Нет. Verdammt. Also musste ich mein Anliegen auf Russisch darlegen, aber es hat anscheinend gut genug funktioniert, um die Antwort Seien sie morgen um Zwei nach dem Essen im Büro zu erhalten. Weil ich nicht wusste, was ich sonst mit meinem Tag anfangen sollte, ging ich erst mal Büchershoppen. Mit Erfolg, für c.a 25 Euro habe ich einen Haufen Bücher und Postkarten bekommen.
Als am Dienstag dann mein erster richtiger Arbeitstag begann, war ich natürlich ziemlich aufgeregt. Erleichtert hat sich für mich einiges dadurch, dass diejenige, die mich und die Andere Neue eingewiesen hat, aus Deutschland kam. Die Andere Neue auch. Langweilig war dann, dass wir in der Empfangshalle im Foyer rumsitzen mussten und Kindern eine Art Schatzsuche durchs Museum erklären mussten. Weil von uns dreien aber nur eine Person fließend Russisch konnte gestaltete sich das als schwierig bis unmöglich. Und als dann gegen Ende unserer Arbeit auch noch eine verrückte alte Frau auftrat, die permanent geredet hat und einfach in allem furchtbar anstrengend war, wusste ich: das wird kein guter Tag. Wurde es aber doch noch, denn im Anschluss waren wir Essen und sind dann zum Russian Speaking Club eingeladen worden, was zum Schluss doch noch ganz lustig wurde. Chilään ist auch endlich wieder aus Finnland zurück und hat uns begleitet – nur um mitzuteilen, dass er ab Montag für immer fortgeht, zum Studieren. In Helsinki. Oder so. Unendliche Trauer macht sich breit, aber was soll man machen.
Nun. Heute ist Freitag, und nach vier Tagen kann ich inzwischen auch den Kindern diese blöde Quest nahebringen. Es sind die kleinen Erfolge. Gestern war natürlich wieder Couchsurfing; ich habe auch die Briten eingeladen, aber sie sind aus Versehen ins falsche Café gegangen, also treffen wir uns wohl eher nächste Woche. Gestern auch ist mir dort etwas Fantastisches passiert. Ich kam nämlich spät, weil ich zuerst noch im Theater war, im Konzertsaal des Marinsky, was atemberaubend hätte werden können aber diesmal wirklich nicht mein Geschmack war – kurzum, ich find es nicht schade, dass ich kurz vor der ersten Pause gegangen bin. Jedenfalls kam ich an, Ami und die Andere Neue waren schon da und haben mir erzählt, dass tatsächlich nach mir gefragt wurde. Where’s your crazy German friend? Ich meine, das ist für mich aufregend. Ich war in der Schule immer eher die Oh Gott, muss die in mein Team? Person, und jetzt fragen Leute nach mir, weil sie mich sehen möcht. Doch damit nicht genug. Auf dem Weg zum Tisch wurde ich angehalten von jemandem, der mir doch ernsthaft mitteilte, ich sei eine Inspiration. Ich. Eine Inspiration! KANN SICH DAS JEMAND VORSTELLEN ICH NICHT BITTESCHÖN WEN ZUM FICK SOLL ICH INSPIREREN. Aber diesen Menschen, offensichtlich. Ansonsten war ich gestern krank. Ich bin mit Halsschmerzen aufgewacht und im Theater vor mich hingestorben. Heute gehts mir auf magische Weise wieder besser, aber muss es auch, wir feiern schließlich gleich Chilääns Abschied.
Also dann. За здоровье!

Einmal Ja und zurück.

Das war also mein letzter Schultag. Wow. Ich bin ja ein bisschen überwältigt. Das ging jetzt doch alles ziemlich schnell. Ich hatte das zwar erwartet, aber wie schnell war dann doch etwas atemberaubend. Und es ist wahnsinnig viel passiert. In den letzten Tagen war ich dann auch unglaublich viel unterwegs und ich habe endlich meine Challenge erfüllt: mich mit den Briten zu betrinken. Gestern war nämlich St. Patrick’s Day und anlässlich dessen sind wir nach der Schule erst mal zum Lunch gegangen. Um zwei hatte ich dann mein erstes Bier getrunken. Also weiter in eine irische Bar, O’Hooligans, Fahnen, Luftballons und irische Hüte. Mehr Bier. Und Never Have I Ever. Aber wir konnten nicht bleiben, weil unser Tisch reserviert war, also auf in die nächste Bar. Und noch mehr Bier. Nun ist donnerstags aber auch immer Couchsurfing, also habe ich mich irgendwann verabschiedet und wollte mich mit dem Ami an der Metro treffen. Als ich aus der Tür trat fing es plötzlich an wie blöd zu schneien und zu regnen. Ich versuche also, angetrunken und vollkommen blind den Weg zur c.a. 1,5km entfernten Metrostation zu finden und brauche 40 Minuten. Na ja, passiert. Beim Couchsurfing dann noch mehr Bier, Salat und Pommes. Das Café schließt um elf, also wollte ich mit ein paar Leuten noch weiterziehen. 20 Minuten Fußweg. Ne doch nicht. Ami und ich verabschieden uns von den andern. Ich frage mich ja wirklich.. na ja, egal. Als ich zuhause ankam jedenfalls, hatte meine Gastfrau besuch, also gab’s noch ein Glas Sekt. Um eins war ich dann im Bett. Elf Stunden Suff und am nächsten Tag Schule. Wir waren dann auch nur zu zweit in der Klasse, aber hey. Es war auch alles ein bisschen emotional heute, war ja immerhin mein letzter Tag, also gab’s nach dem Unterricht auch eine kleine Abschiedsparty, mit Rede, Champagner und allem drum und dran. Ich habe sogar ein Zeugnis bekommen, siehe oben. Im Anschluss war ich mit den Britinnen 1 & 2 im Museum, wo wir noch einen anderen Briten getroffen haben. Zu viele Briten. Heute war ein wunderschöner Tag, der erste Tag, an dem sich Piter wettertechnisch von seiner bezaubernden Seite gezeigt hat. Als ich zur Schule fuhr, war die Neva exakt zur Hälfte gefroren, als ich nach Hause fuhr schwamm Eis darin – es sah atemberaubend aus, dazu dieser strahlend blaue Himmel, Sonnenschein, wow.
Heute war auch wieder Hockey – und ich habe mein erstes Tor gemacht. Yay! Was für ein Moment! Und Mittwoch war ich mit Ami in der Eremitage. Wir haben uns erst mal verlaufen. Aber macht ja nichts, dafür ist sie ja auch da, dafür ist sie so riesig. Ist ja kuschelig.
What is more: ein bisschen Gefühlsduseligkeit. Wenn ich so den ganzen Tag rumhänge und ausschließlich Russisch oder Englisch spreche, ist es schwierig bis unmöglich aufzuhören, auf Englisch zu denken. Dann gehe ich mir selber auf die Nerven, weil ich nicht dazu in der Lage bin, meine Gedanken exakt so auszudrücken, wie ich das jetzt gerne möchte und nicht zurück ins Deutsche wechseln kann. Even more: Sich gewählt ausdrücken zu können ist. so. verdammt. attraktiv.
Das war’s erst mal. Verwirrter Beitrag aus einem verwirrten Seelenleben.

P.S.: ich habe mein Zugticket nach Moskau und mein Flugticket nach Sochi gebucht. Shit is about to get real, man.

Selbstbild als Schildkröte

I’m going to slip into the sweet embrace of unconsciousness for the night.

(Oh Gott, ich hasse WordPress dafür, dass es dieses Bild abgeschnitten hat!)

Ein bisschen Kitsch darf auch mal sein. Die Sonne schien heute (zumindest hat sie es versucht). Als ich die Wohnung verließ war davon zwar nicht mehr so viel zu sehen, aber immerhin. Das Wichtigste ist: ich habe endlich meine Hausarbeit abgegeben! 14 Seiten Schwerstarbeit, aber am Ende ging es doch schneller als erwartet. Ich hoffe, es ist halbwegs okay – trotz des eklatanten Quellenmangels.

Gestern war ich wieder beim Couchsurfing-Event. Nach Dienstag habe ich beschlossen, die restliche Woche nüchtern zu bleiben, also trank ich Grapefruitsaft. Ich mag die Leute dort. Wir haben seit gestern auch einen weiteren Deutschen im Team, er war mit. Er kommt aus Kassel. Coincidence? I think not. Wir haben zusammen versucht, dem Ami zu erklären, was „Fick dich ins Knie“ bedeutet. Sein Kommentar: „I just graduated from a cocksucker to a kneefucker. That’s great, man!“ Ich beging an dem Abend auch den Fehler, den beiden mitzuteilen, dass ich nicht pfeifen kann. Auf meinem Weg nach Hause erhielt ich eine SMS: „Bist du sicher, dass du alleine nach Hause laufen kannst? Ich meine, wenn du in Gefahr bist, kannst du nicht mal Pfeifen!“, woraufhin ich, angekommen, erwiderte, dass ich es trotz aller Widrigkeiten Heim geschafft hätte und das Pfeifen gar nicht nötig hätte. Danach hieß es: „Das ist wie einer Baby-Schildkröte zu gratulieren, dass sie es ins Meer geschafft hat, ohne Französisch zu können. Die Möglichkeit war einfach nie gegeben.“ Yep, that’s me.

Man kann in Russland übrigens nicht schwarz fahren, es ist unmöglich. Sobald man in den Bus steigt, kommt eine Person und dreht dir ein Ticket an, es ist unvermeidlich. Sollte man es trotzdem irgendwie schaffen, muss man 500 Rubel Strafe zahlen. Das sind immerhin ungefähr sieben Euro, davon kann man sich schon mal ein AB-Tagesticket für Berlin kaufen. Was ich auch nicht verstehe, ist die Sache mit den Zebrastreifen. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob die Autos dort anhalten müssen, oder ob das mehr ein Vorschlag für die Fußgänger ist, dass hier doch ein geeigneter Ort sei, um die Straße zu überqueren. Für Ersteres halten die Fahrer zu selten, für Zweiteres zu oft. Ich hoffe ich bin schlauer, bevor ich endgültig abreise.

Als Letztes: morgen fahre ich mit Ami und Kassel-Mensch nach Puschkin. Das ist ein Distrikt etwas außerhalb der Stadt, wo einiges an Palästen und anderen schönen Dingen rumsteht. Ich bin gespannt.

Nimm dir mehr!

Petersburg ist so ziemlich das verschneite Äquivalent Londons. Der Himmel ist pausenlos grau, Wolken ziehen ihrer Wege, Kassiererinnen sind immer schlecht gelaunt. Inzwischen ist der Schnee dem Eis gewichen und die Leute blockieren ständig mit ihrem Hintern den Bürgersteig. Es ist auch kälter geworden, aber mir persönlich ist es ziemlich egal, ob jetzt -8 oder nur -1 Grad herrschen, kalt ist kalt. Nach einer Woche bin ich mit den Briten noch keinen Schritt voran gekommen, obwohl mir eine meiner Kursmitgliederinnen gesagt hat, mein Pullover sei schön – das muss man vielleicht auch als Erfolg sehen. Ansonsten war ich gestern mit dem Ami, dem Texaner und dem Spanier in einem Restaurant, das „der Zar“ hieß und das wir hauptsächlich besucht hatten, weil das Gerücht umging, die Toiletten dort seien so schön (waren sie wirklich. Eingebettet in einen Thron in einem Raum voller pornografischer Malereien, deren pikanteste Stellen mit hübschen grellgrünen Blättern überdeckt waren). Im Zar konnte man einen Granatapfelsaft für 1000 Rubel (c.a 12€) oder heiße Schokolade für 350 Rubel (ca. 4,50€) bestellen. Ich habe mich für die heiße Schokolade entschieden, aber sie war nicht besonders atemberaubend. Dafür war die Bedienung nett und am Ende meines Aufenthaltes durfte ich auf einem Thron sitzen und die Herrschaftsinsignien in der Hand halten, das sind die 4,50€ doch schon fast wert.
Ja, nun. Am Freitag gehe ich dann Eishockey spielen. Ich bin gespannt. Wie ich mich kenne ziehe ich mir irgendeine absurde Verletzung mit fantastischem Namen zu und mein Aufenthalt ist vorbei, aber das Risiko gehe ich ein. Dadurch, dass ich hier so sehr mit leckerem Essen vollgestopft werde („Nimm Butter! Nimm mehr Butter! Iss noch ein Brot! Nur einen kleinen Schluck Wein! Noch einen!“) bin ich ganz froh um sportliche Betätigung. Auch die Tatsache, mal nicht mit den immergleichen Leuten aus der Schule rumhängen zu müssen ist verlockend.
Es ist übrigens etwas außergewöhnliches passiert. Es ist das eingetreten, wovor ich mich so sehr gefürchtet habe, bevor ich abgefahren bin. Etwas ganz und gar abenteuerliches.
Kohl.
Ich habe Gerichte gegessen, die zu 90% aus Kohl bestanden – und sie waren lecker! Was aber nicht heißt, dass ich das Zuhause nachmache. Das sind besondere Umstände. Überhaupt weiß ich auch gar nicht, was das war oder wie man das nachmacht und nein, das kann ich unmöglich fragen.

Ob ich wohl immer noch ich sein werde, wenn ich wiederkomme? Oder werde ich zu einer kohlessenden, eishockeyspielenden Maschine mutieren? Wer weiß. Wer weiß..

Only in Russia

Tja. Da bin ich nun. In St. Petersburg. In Russland. Ganz wirklich. Für mindestens acht Wochen.
Wie aufregend.

Ich bin seit nunmehr einer Woche hier und habe schon dieses typische Heimatgefühl entwickelt, alles fühlt sich so ewig an. Und so russisch. Vor allem so russisch. Petersburg zeigt sich von seiner besten, winterlichsten Seite: verschneit, kalt und irgendwie geheimnisvoll leuchtend-düster. Es wird nicht richtig dunkel, weil das Licht der Straßenlaternen nachts das strahlende Weiß reflektiert. Was gibt es über Russland zu sagen? Es ist alles wahr. Alles, was man immer so hört. Gestern war ich auf einer russischen Geburtstagsfeier. Plötzlich ist einer der Gäste aufgestanden und hat beschlossen, eine neue Glühbirne anzubringen. Als ich ihn darauf hinweisen wollte, dass er doch vorher den Strom abstellen müsste, hat er das Licht ausgemacht. Dann wurde gelacht. Er hat überlebt. Und jetzt die Frage: sind wir spießig, oder sind die lebensmüde?
Wahrscheinlich beides, irgendwie.
Aber die Menschen sind wundervoll. Zumindest die, die ich bisher kennenlernen durfte. Ich bin nun auch offiziell Russin, ich habe Bruderschaft getrunken, über Kreuz, auf Ex, drei Küsschen, немецко-русская дружба, deutsch-russische Freundschaft.
Es sind die kleinen Dinge.

 

NACHTRAG: Er hat natürlich nicht nur einfach eine Glühbirne gewechselt. Er hat eine neue Lampe installiert an der Decke. Der Punkt ist: es wurde an Kabeln herumgefummelt. Ich finde das besorgniserregend!

#Irgendwo in Schweden

Irgendwo in Schweden. Mein Freund und ich laufen etwas entlang, das wir für die Hauptstraße des Dörfchens befunden haben, in dem wir uns gerade aufhalten. Es ist ein goldener Herbstmittag, die Sonne scheint, es ist zwar nicht wirklich warm, aber auch nicht kalt. Vereinzelt ziehen Wolken über den Himmel, der Tag bisher hätte besser sein können, aber es geht voran und die Stimmung ist gut. Unser Ziel ist Västervik, eine Stadt am südöstlichen Ostseerand Schwedens und wir befinden uns noch einige Kilometer südlich. Wir sind seit zwei Tagen im Land und haben unsere Erwartungen schon mächtig runtergeschraubt. Wir trampen, oder besser gesagt – wir versuchen, zu trampen, denn anscheinend ist das Land nicht gerade für seine Offenheit Fremden gegenüber bekannt. Aber egal – wir haben Zeit, also laufen wir mit ausgestrecktem Daumen weiter und singen Lieder.
Wir haben uns schon ein Stück von der Dorfmitte entfernt, als die Wolken anfangen, sich zusammenzuziehen. „Sieht nach Regen aus“, merke ich an. Mein Freund nickt. Wir schauen uns besorgt an. Es ziehen hier nur wenige Autos entlang, bisher starrten uns nur skeptisch dreinblickende Augenpaare von hinter der Windschutzscheibe musternd an. Unsere gute Laune beginnt langsam zu verfliegen, aber wir haben keine große Wahl. Entweder die paar Kilometer mit dem schweren Rucksack wieder zurücklaufen oder bis in die nächste Stadt mitgenommen werden lautet die Devise. Wir entscheiden uns für letztere Option und singen weiter.
Plötzlich blinkt jemand, das Bremslicht flackert auf, er fährt an den Seitenstreifen, hält an und winkt uns zu sich heran. Ich frage ihn, wo er hinfährt, aber sein Englisch ist nicht gut und wir verstehen ihn nicht genau. Da wir aber Angst vor dem Regen haben entscheiden wir uns, bei ihm einzusteigen. „Bis zur nächsten Tankstelle“, meine ich herausgehört zu haben und Tankstellen sind prinzipiell erst mal immer ein guter Anhaltspunkt.
Prinzipiell.
Denn die „Tankstelle“, zu der er uns bringt, ist auch nur ein Stück die Straße runter – nun sind wir allerdings zu weit weg, um zu Fuß wieder zurück in Richtung Dorf zu gehen. Wir wollen uns gerade umdrehen, als der Mann grußlos davon fährt. Es beginnt zu regnen.
„Immerhin, an Tankstellen gibt es Essen, Trinken und Toiletten – damit fange ich erst mal an“, sage ich zu meinem Freund und stapfe auf das kleine Häuschen zu. Der Kerl hinter der Kasse scheint nicht begeistert über mein Anliegen, hat aber Nachsehen und überreicht mir schließlich den Toilettenschlüssel. Als ich das Badezimmer betrete bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht lieber wieder umkehren und in den Wald gehen möchte. Schließlich gebe ich dem Mann seinen Schlüssel zurück, er nickt mich grimmig an und starrt weiter ins Leere. Viel zu tun hat er nicht, denn seine Dienste werden nicht besonders oft in Anspruch genommen – es ist eine Selbstbedienungs-Tankstelle.
Der Regen nimmt zu. In regelmäßigen Abständen schleicht eine alte Frau um uns herum. „Die finde ich irgendwie gruselig“, sagt meine Begleitung. Ich stimme zu. „Aber im Endeffekt ist es nur eine alte Frau. Was soll sie schon tun?“ In dem Moment kommt sie mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu und brabbelt unverständliches Zeug. „Entschuldigung, ich spreche kein Schwedisch!“, sage ich, aber es interessiert sie nicht. Wir gehen ein Stück zurück. Sie entfernt sich. Ich atme auf. Eine halbe Stunde später sehen wir sie, wie sie sich uns wieder von der anderen Straßenseite aus nähert. Sie fängt an, zu rufen. Hilflos schaue ich meinen Freund an. „Und jetzt?“ Er schüttelt den Kopf.
Unsere Lieder sind inzwischen vollends verstummt, der Regen trommelt auf das Dach und wir sind inzwischen froh, bei der Tankstelle und nicht mehr irgendwo auf der Straße zu sein. Plötzlich spüre ich etwas Kaltes im Gesicht. Ich blicke hoch. Die Wellblechkonstruktion über mir sieht wenig vertrauenerweckend aus und, ja, tatsächlich, es tropft hindurch. „Das ist nicht gut“, murmelt mein Freund und auch ich beginne langsam meinen Optimismus zu verlieren. Autos ziehen teilnahmslos an uns vorbei. Mit jedem Scheinwerferpaar ein neuer Hoffnungsschimmer. Wir sprechen inzwischen alles an, was sich zwischen die Zapfsäulen verirrt, ohne Erfolg.
Plötzlich hält ein Wagen aus dem ein sehr dubios aussehender Mensch aussteigt. Ich schätze ihn auf Ende zwanzig, wohnhaft noch bei Mutti, fettige Haare, schlabbrige Jeans. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Play-Station“ und einem Pfeil nach unten. „Kein Sex, keine Freundin, dafür ein Terrabyte Pornos auf der Festplatte.“, schießt es mir durch den Kopf.
Mein Freund und ich tauschen gerade seufzende Blicke aus, als der Typ auf uns zu geht und uns anspricht. „Wo wollt ihr hin?“, fragt er. „Västervik“, antworte ich, „aber eigentlich ist es auch egal, Hauptsache in die nächste Stadt, Hauptsache eine Unterkunft“. Er nickt. Er fahre nach Kalmar, sagt er, und bietet uns an, uns mitzunehmen. Unter normalen Umständen hätte ich höflich abgelehnt, aber in dem Moment überkam mich nur noch tiefste Dankbarkeit darüber, hier endlich wegzukommen und schlussendlich stiegen wir mit einem mulmigen Gefühl im Magen ein.
Der Herr entpuppt sich tatsächlich als Ende zwanzig, aber berufstätig und deshalb geschäftlich unterwegs auf der Strecke. Im Auto führen wir eine anregende Diskussion und die Fahrt bis nach Kalmar vergeht unglaublich schnell. Er setzt uns am Bahnhof ab, erklärt uns, wo ein Informationsstand sei, an dem wir uns eine Karte besorgen können und weist uns den Weg in die Innenstadt, wo wir sicherlich ein günstiges Hostel finden. Zum Schluss drückt er uns noch 500 Schwedische Kronen in die Hand – umgerechnet etwa 70 Euro. „Wow, danke, das ist ja voll nett!“, stammele ich überfordert, er winkt ab, grüßt und fährt. Ich bin schockiert, aber glücklich. Mein Freund schaut fassungslos drein. „Kleider machen doch keine Leute“, denke ich. Wir ziehen los. Nach wenigen Schritten begegnet uns jemand, der fragt, ob wir eine Unterkunft für die Nacht brauchen und erkundigt sich nach unseren Reisemotiven. „Wir fahren per Anhalter um die Ostsee, wir kommen aus Deutschland“, referiere ich. Der Mann ist begeistert. „Normalerweise bin ich sehr aktiv in der Couchsurfing-Community. Heute habe ich leider keiner Zeit – aber wenn ihr etwas braucht, oder länger bleibt, oder wiederkommt, oder nichts findet, hier ist meine Nummer!“, sagt er und drückt mir ein bekritzeltes Stück Papier in die Hand. „So viel Nettigkeit an einem Tag bin ich gar nicht mehr gewohnt“, sagt meine Reisebegleitung und ich kann nur verwirrt nicken. „Ich hab nicht viel erwartet von dieser Reise. Ich wollte ein bisschen rumfahren, Spaß haben, die Welt entdecken, aber ich war der festen Überzeugung, dass wir nach zwei Tagen schon wieder Zuhause sein werden, weil nichts funktioniert. Jetzt hat die zweite Woche angefangen und ich habe zwar schon einmal auf einer Bank im Bahnhof übernachten müssen, aber ich habe auch gelernt, dass man immer irgendwie an sein Ziel kommt.“
Wie im Film beginnt der Regen sich zu lichten. Wir machen uns auf den Weg, ein Nachtlager zu finden. Auf der Karte sind wir heute nur 100km weit gekommen. Aber im Kopf hat sich ein Schalter umgelegt. Ich fange an, dieses Unternehmen zu lieben.

Lübbecke

Es ist wohl (leider) jedem bekannt, dass „Städte“ mit < 50.000 Einwohnern existieren. Eine dieser „Städte“ ist Lübbecke. Lübbecke liegt im nordwestlichsten Zipfel Nordrheinwestfalens, in OWL, irgendwo zwischen Bielefeld und Hannover, an der Grenze zu Niedersachsen. Niedersachsen, ein wunderschönes Bundesland mit wunderschönen Städten wie Bremen, Goslar, Hamburg (irgendwie). Niedersachsen hat die Berge und das Meer, es ist das perfekte Bundesland. Und dann kommt Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen, dieser Name allein ist schon so dermaßen hässlich, dass selbst ich lange Zeit nicht wusste, wie und vor allem wozu man das überhaupt schreibt. Nordrhein-Westfalen, ein Bundesland, das auftrumpft mit Städten wie Essen, Duisburg, Düsseldorf, Köln, kurzum ein Land, das denkt, es sei cool, weil die einzigen größeren Städte völlig vollbetoniert und verdreckt sind. In diesem Bundesland liegen alle Städte, die ich hasse. Bochum zum Beispiel – wieso sollte man freiwillig in Bochum wohnen?! Oder Köln. Das einzig schöne an Köln ist der Rhein, und den gibts auf einer Länge von 1238km auch woanders. Und: Bielefeld. Eine Stadt, die sich damit rühmt, nicht zu existieren. Ich glaube, das sagt schon alles. Aber der Ort, den ich wirklich am allermeisten hasse, noch mehr als Köln und Bochum und Bielefeld zusammen (die sind einfach nur hässlich. Damit kann man noch irgendwie leben) ist Lübbecke. Für mich wäre die Existenz dieser Gemeischaft auch nicht weiter tragisch, ich könnte das gut verdrängen, wenn sie mich nicht unmittelbar selbst beträfe.

Was ist so schlimm an Lübbecke? Ist es hässlich? Nicht mal das. Lübbecke hat den Mittellandkanal, einen großen Wald und eine niedliche Innenstadt. Außerdem ist Lübbecke ein einziger Berg, was zwar unpraktisch ist, aber auch einen gewissen Charme verleiht. Nein, was so schlimm an Lübbecke ist, ist seine Größe. Und seine Einwohner. In Lübbecke ist es leider Gottes völlig normal, dass um 18h niemand mehr aus dem Haus geht. Da werden sozusagen „Die Bürgersteige hochgeklappt“. Man könnte jetzt argumentieren, gut, es ist eben ein Dorf, mit lauter alten Leuten. Aber dieses Dorf hat ein Gymnasium. Und ich frage mich: sind sogar schon die Jugendlichen hier so verspießt, dass sie nicht mal mehr nach 18h rausgehen? In Lübbecke gibt es keine Graffitis. Vielleicht liegt das an diesem Verbot, das Zimmer zu verlassen, sobald es dunkel wird. In Lübbecke gibt es auch keine Gangs und wenn es welche gäbe, wäre die größte Bedrohung, die sie aussendeten, ihre schiere Existenz. In Lübbecke gibt es keine Bettler, es gibt nicht mal Aldi. Es ist eine Stadt, die mit einem Prunk prahlt, der nicht vorhanden ist.

Ich könnte damit leben, dass ich nach 18h keinen Kaffee mehr bekomme. Ich könnte auch damit leben, dass Geschäfte samstags, an dem Tag, wo man Zeit hat, um all die Dinge zu erledigen, für die man sonst keine Zeit hat und die man schon sonntags nicht erledigen kann, weil sonntags erstrecht alle Läden zu haben, nur von 11 – 16h auf haben. Das sind Dinge, nach denen ich mich richten kann. Aber wonach ich mich nicht richten kann, ist der Bahnhof.

Oder wie auch immer man dieses Ding nennen soll, denn den Namen „Bahnhof“ hat es eigentlich nicht verdient. Es ist ein Gleis mit einer Nummer dran, daneben ist zwar ein Bahnhofsgebäude, aber wenn man dieses tatsächlich betreten könnte, wäre das geradezu revolutionär. Aber eigentlich gibt es gar keinen Grund, es zu betreten, denn es fahren stündlich ganze zwei Züge, einer um zwanzig nach in Richtung Bielefeld und einer um fünf nach halb in Richtung Rahden. Mehr nicht. Bielefeld und Rahden, wenn man von Lübbecke aus mit dem Zug eine Fernreise unternehmen möchte, muss man erst mal mit dem Auto bis nach Espelkamp fahren, um überhaupt eine Fahrkarte zu kaufen, denn in Lübbecke fährt nur eine eurobahn, die bekannterweise ihre Fahrkartenautomaten im Zug haben. Gut, es kommt nicht oft vor, dass man eine Fernreise unternimmt, wenn man in Lübbecke wohnt. Schließlich gibt es in dieser Stadt alles, was man braucht, wenn man freiwillig dorthin zieht, nämlich gar nichts. Ich persönlich könnte mich mit dem Fahrkartenautomaten im Zug auch arrangieren und das habe ich inzwischen auch größtenteils, aber was ist mit den armen alten Omas, die fast die gesamte Bewohnerzahl ausmachen, die mal ein großes Abenteuer wagen und mit dem Zug fahren wollen?

Arme, alte Omas, die nicht wissen, dass der Zug keine ec-Karten akzeptiert? Oder 50€-Scheine? Oder 20 Centmünzen? Arme, alte Omas haben vielleicht noch Glück. Aber als ich das erste mal mit diesem Zug fahren wollte, hatte ich kein Bargeld dabei. Und musste prompt 40€ zahlen, weil ich nicht in der Lage war, ein Ticket zu kaufen. Man möge sich darüber echauffieren, wie man will (und glaubt mir – das habe ich), aber die Schaffner können da gar nichts für. Die sind nämlich alle komplett irre. Ich meine das wörtlich, ich habe auch schon eine „gelbe Karte“ bekommen. Es ist lächerlich genug, dass eine Eisenbahngesellschaft so etwas wie gelbe Karten austeilt. Gelbe Karten sind Schiedsrichtern und Kindergärtnern vorbehalten, alles andere ist und bleibt einfach lächerlich. Diese gelbe Karte ist für Leute, die den Zug verschmutzen. Wie es der Zufall so will, gibt es natürlich auch eine rote Karte. Wenn man diese erst mal freigeschaltet hat, fällt eine Reinigungspauschale von 20€ an. Ich hätte kein Problem mit der gelben Karte gehabt, auch nicht mit ihrer Unseriösität, wenn sie gerechtfertigt wäre.

Es ergab sich nämlich Folgendes: im Zug selbst befanden sich neben mir vielleicht 10 Menschen. Eurobahnen sind klein, aber nicht so klein, als dass nicht bei 10 Menschen jeder einen Viererplatz für sich allein hätte ergattern können und trotzdem noch massig frei wären. Ich hatte also meinen Rucksack auf dem Stuhl vor mir und meine Füße auf dem Rucksack. Ich bekam eine gelbe Karte. „Wieso das denn?“, fragte ich. „Lesen Sie doch mal, was dort steht.“ „Blabla Reinigungspauschale blabla.. aber ich mache den Sitz doch gar nicht dreckig, deswegen liegt dort doch mein Rucksack.“ Die Antwort, die ich bekam, führte zu meiner sofortigen Wegnahme des Rucksacks: „Sie blockieren mit ihren Füßen und ihrem Rucksack den Sitz. Es könnten sich vielleicht Leute draufsetzen wollen.“ Ich war sprachlos. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in einem fast leeren Zug eine Person ausgerechnet auf den Platz direkt vor mir, nicht neben oder schräg gegenüber von mir, hätte setzen wollen, war ziemlich gering. Und verschmutzt hatte ich auch nichts. Nichtsdestotrotz bekam ich diese Standpauke.

Diese Schaffnerin fiel nicht nur mir negativ auf (mehrmals). Sogar die Fahrkartenverkäufer in Espelkamp kennen sie als „die Verrückte“. Ich bin also nicht nur dazu gezwungen, in einem Zug zu fahren, der in lauter Städten hält, die niemanden interessieren, wie z.B. „Bieren-Rödinghausen“ oder dem Bedarfshalt „Neue Mühle“, der sogar so dermaßen unwichtig ist, dass man, wie im Bus, eine Stopp-taste drücken muss, nein, ich bin auch noch dazu gezwungen, völlig weltfremdes Dienstpersonal zu erleiden. Allein das schießt Lübbecke für mich als potenziellen Wohnort ins Aus.

Aber all das wäre sogar noch irgendwie ertragbar. WENN WENIGSTENS AUCH SONNTAGS SICH DIE BAHN NICHT ZU BEQUEM WÄRE, UM STÜNDLICH ZU FAHREN. Denn sonn- und feiertags ist man nur etwa alle zwei Stunden in der Lage, diesen wunderschönen Ort zu verlassen.

Der letzte Zug fährt um 19.40h. Gute anderthalb Stunden, nachdem die Bürgersteige hochgeklappt wurden. Wenn man das weiß, kann man sich auch darauf vorbereiten. Aber wehe, man vergisst es. Denn der Weg bis zur Innenstadt, wo man in einer der zahlreichen (3) Lokalitäten, in denen man evtl. nach 18h noch einen Kaffee bekäme, ums ich die Zeit zu vertreiben, dauert geschlagene 20 Minuten. Denn natürlich ist es dieser Stadt, die so unglaublich reich ist, weil dort ein riesiges Industriegebiet ist, in der Firmen wie Gehwohl ansässig sind, es keine armen Leute gibt und dort nur Omas wohnen, die Schutzwesten für Bäume stricken, nicht möglich, ein Café, einen Imbiss oder irgendetwas anderes in die Nähe des Bahnhofs zu bauen. Wenn man also eine Stunde warten muss, weil der Zug es nicht für nötig hält, zu kommen, hat man entweder die Wahl, den ganzen gottverdamten Berg wieder hochzulatschen, oder in der Kälte zu warten und sich mit dem Snacks aus dem großzügigerweise bereitgestellten Snackautomaten zu begnügen.

Mir ist das mehr als einmal passiert. Es geht einfach nicht in meinen Kopf, wie eine Stadt existieren kann, in der es Tage gibt, an denen die Züge nur alle zwei Stunden fahren, weil zufälligerweise ein anderer Wochentag ist als sonst.

Aber zum Glück ziehe ich ja im Dezember nach Berlin. Dann werde ich mich wahrscheinlich darüber aufregen, wieso die S-Bahn Freitagmorgen um 3 nur noch alle vierzig Minuten fährt.