MonatMärz 2017

He probably didn’t want to fuck you, anyway

Ich habe gestern ein neues Portemonnaie gekauft. Endlich. Meins begann kurz nach meiner Ankunft hier, gänzlich auseinander zu fallen, und seitdem war ich auf der Suche. Gestern hatte ich genug. Es war eine dieser typischen „Oh Gott, ich bin schon wieder überfordert“-Situationen, in denen mich eine Verkäuferin anquatscht und ich nicht weiß, was ich tun soll, und dann 40€ im Laden liegen lasse für einen Geldbeutel, der nicht mal ansatzweise so aussieht, wie ich mir das vorgestellt hatte. Egal, ich bin trotzdem glücklich damit, endlich wieder Ordnung in meinen analogen Finanzen.

Außerdem habe ich heute meinen Facebook-Account deaktiviert. Deaktviert nur, nicht gelöscht, vielleicht kommt das noch, ich bin ja auch ein Feigling, impulsives explosives Schritt-Für-Schritt – ich hatte genug von all den Phantomgestalten mit denen man ab und an mal schreibt, aber wiedersehen wird man sie doch nicht. Diejenigen, auf die es ankommt, haben meine Nummer.

In meinem E-Mail-Briefkasten war die Absage für das Deutschlandstipendium, weil ich ein Loser bin.

Ansonsten habe ich diese Woche frei und es ist ein interessantes Auf und Ab – Dienstag ging’s mir erst schlecht, dann habe ich Bananen Sojamilch gefunden und das rettete meinen Tag. Gestern war ich unerwartet produktiv, denn ich habe mir nicht nur ein neues Portemonnaie besorgt, sondern arbeitete auch an meiner Hausarbeit. Heute wollte ich das dann forsetzen, aber war nicht drin. Morgen dann. (Haha.)

Was gestern auch passiert ist: ich bin mit Zoe und Judith in eine Bar in der Nähe gegangen. Ich trank Tee, die beiden Cocktails. Es war nicht spannend, aber als wir wieder Zuhause waren durfte ich Zoe dabei beobachten, wie sie Tomaten und Cornichons aus dem Glas isst und das Wasser dazu trinkt und genüsslich die Augen dabei schließt. Das fand ich dann schon wieder unglaublich Russisch.

Dass ich meinen Facebook-Account gelöscht habe heißt wohl auch, dass mein kurzes Stelldichein mit Glyn wohl endgültig beendet ist, denn ich sehe ihn nie irgendwo, ausnahmsweise ist er mal ein Mensch, dessen Freundeskreis mit meinem nicht komplett identisch ist. Und dass er mich anruft, davon ist wohl nicht auszugehen. Aber mal sehen, vielleicht ist er ja doch für eine Überraschung gut. (Haha².)

Ich wünschte, es würde aufhören, so kalt zu sein. Es scheint zwar momentan recht oft die Sonne, aber seltsamerweise schneit es auch, oder regnet, oder hagelt, und meistens ist es so um die 2°C.

Heute Abend wieder Café Afrika. Poison. Klassiker. Ich dachte immer, ich sei ein bisschen süchtig nach Couchsurfing, aber Zoe ist viel schlimmer.

Na ja. Was soll man sagen.

Was so Wunderliches passiert

Russland ist ja ein Land voller Merkwürdigkeiten. Ein Land voller Wunderlichkeiten, ein Land zum Augenrollen, Naserümpfen, Augenbrauen hochziehen.

Ich bin vor zwei Wochen umgezogen, raus aus dem Wohnheim, rein in die Kommunalka. Noch russischer kann man wohl kaum wohnen. Wir, das heißt meine Zimmermitbewohnerin Zoe und ich, leben hier zusammen mit fünf anderen Parteien. In der Küche stehen vier Herde, im Bad vier Waschmaschinen, und jeder hat seinen eigenen Toilettendeckel. Aber wir haben 25qm ganz für uns allein, plus Abstellkammer, und jetzt endlich auch Internet. Außerdem bin ich nicht mehr auf die Metro angewiesen, was wahrscheinlich das beste an der ganzen Sache ist. Nun, zumindest nicht, wenn ich nicht gerade zur Uni fahre. Die ist ja am anderen Ende der Welt.

Aber was passiert sonst noch so Seltsames?
Seltsam ist, wenn man an der Kasse steht, auf dem Band liegen Bananen, Reis, Brot, Wasser, eine Packung Gojibeeren (die merkwürdigerweise hier recht beliebt zu sein scheinen) und der Kassierer nimmt die Packung Gojibeeren, murmelt etwas Unverständliches und schmeißt sie einfach weg.
Seltsam ist, wenn man im Hof von einer Frau angequatscht wird, die dich fragt, wie sie den Akku in ihr Handy einzusetzen hat – es ist ihr gerade in der Treppe runtergefallen – es aber perfekt hinkriegt, und eigentlich überhaupt nicht auf deine Hilfe angewiesen ist.
Seltsam ist, wenn man sich mit Obdachlosen, die im Keller gegenüber wohnen, anfreundet, weil dein Kumpel nicht mit zu dir nach Hause durfte.
Seltsam ist, zu erfahren, dass man hier nach elf im Supermarkt keinen Alkohol mehr kaufen kann.
Seltsam ist, wenn man in seiner Stammkaraokebar rumhängt, jemand dir erzählt: „Hey, ich stell dir mal die und die vor, die ist auch aus Deutschland!“, und es stellt sich heraus, dass sie mit dir zusammen studiert.
Seltsam ist auch, wenn man in eben genannter Bar ist, von der Bühne runtergeht und auf einmal liegen auf deinem Tisch zwei Packungen Pistazien.
Seltsam ist ebenfalls, wenn man in der Bar gegenüber rumhängt und der Barkeeper einfach kommentarlos dein Bier die ganze Zeit nachfüllt – mit der Begründung, dass man ja gegenüber wohnt und wohl öfter vorbeikommen wird. Und man dann anstatt um zwei um sechs Zuhause ist.

Aber manchmal trifft man in dieser Bar auch jemanden, den man mag, jemanden, mit dem man sich dann später wieder trifft, ein paar schöne Momente teilt, dann um 8.00 morgens nach Hause kommt und Nudeln mit Ketchup essend in der Küche sitzt und plötzlich geht die Tür auf und dein Nachbar kommt rein und frühstückt. Du gehst ins Bett, stehst drei Stunden später wieder auf und bewaffnest dich dann mit Sonnenbrille und Safttrinkpäckchen, um dich mit deinen Freunden zum Sushi zu treffen.

Manchmal möchte man aber auch einfach nur einen Brief versenden und muss sich dann rechtfertigen, warum man kein Fotoshooting im Anschluss möchte und auch seine Nummer nicht dem Posttypen geben will. Manchmal steht man vor einer Bar, tauscht sich aus über Geschichten von sexuellen Übergriffen und dann kommt ein besoffener Typ vorbei und grabscht einfach deine Hüfte.
Manchmal ist man einfach nur voller Hass auf all die Leute, die zu blöd sind, die Metro vernünftig zu benutzen und überall im Weg rumstehen. Überhaupt voller Hass auf die Enge, denn egal, wo man gerade ist, wo ein Gang ist, da ist auch ein Mensch drin, der ihn komplett versperrt. Manchmal sind sogar die Gehwege so eng, dass man auf einer Seite warten muss, bis entgegenkommende Personen an einem vorbeigelaufen sind.

In manchen Momenten liebt man aber auch einfach nur seine Mitbewohnerin dafür, dass sie immer das gleiche kauft wie man selbst und dann drei verschiedene Packungen Granola und 20 Eier im Schrank stehen.

Und manchmal, da ist eben einfach nur alles irgendwie okay.

Der Prozess

Man merkt, ich bin nicht sonderlich motiviert über meinen Russlandaufenthalt zu berichten. Das liegt einerseits daran, dass ich erst mal damit beschäftigt war, die Scherben meiner Erinnerungen zusammen zu kehren. Und andererseits daran, dass ich dafür im Gegenzug fleißig versuche, alle Puzzleteile in meinem Kopf neu zusammen zu fügen.
Der verzweifelte Kampf mit der Organisation meiner Uni ist ein Kampf gegen Windmühlen, den ich inzwischen aufgegeben habe. Dann kann ich eben nicht die Texte für meine Seminare lesen. Dann gehe ich eben nicht zur Vorlesung, wenn sie schon wieder auf einen anderen Zeitpunkt verschoben wurde. Dann feiere ich halt solange, bis die Metro morgens wieder fährt und komme dann um 7.30 nach Hause, setze mich in die Küche und schlinge Nudeln mit Ketchup in mich hinein, während der Typ neben mir frühstückt. Bewältigungsstrategien. Aber, immerhin: ich habe eine neue Wohnung gefunden. Das Zimmer teile ich mir mit einer Freundin, die Küche ist riesig, unsere Kammer hat 25m². Stadtzentrum, Metro-Jackpot Sennaya/Sadovaya/Spasskaya. Der Koffer ist schon halb gepackt, in den nächsten Tagen werde ich umziehen. Ich weiß nicht, genau, worauf ich warte; momentan darauf, dass meine Wäsche trocknet. Außerdem brauche ich noch Bettwäsche. Und ich möchte nicht alleine sein an diesem neuen, unbekannten Ort, denn Zoe muss noch ein paar Tage warten, bis sie ausziehen kann. Also kann ich mich auch noch ein wenig in Geduld üben.
Noch bin ich nicht ganz glücklich, ein paar düstere Schatten wabern noch in meinem Kopf herum. Doch es geht bergauf, stetig, langsam, Stück für Stück. Natürlich verschwende ich meine Zeit, aber was soll man sonst mit seinem Leben anfangen?