MonatDezember 2016

Reisezeiten

In Russland sind die Autos dreckiger. Das ist das erste, was auffällt, wenn man hier die Straße rauf und runter schaut. Es sind auch mehr Menschen unterwegs. Als ich mit meinem überdimensional großen Koffer aus der Metro aussteigen wollte, blickte mir auf der anderen Seite der Tür ein Schild entgegen „Der nächste Ausgang ist nebenan!“ stand dort drauf, und eine Mauer. Nebenan, da kommt man aber leider nicht hin, wenn der Gang voller Menschen ist und der Koffer schwer und unhandlich. Also bin ich eine Station weitergefahren. Und dann wieder zurück. Auch hätte ich fast meinen Flug verpasst, weil in Schönefeld Zustände herrschten, als wäre heute die allerletzte Möglichkeit noch zu verreisen. Aber die Hälfte der Passagiere hatte sich verspätet, also wartete das Flugzeug. Und dann, ja, dann sind da noch meine Sitznachbarn. Sie Ukrainerin, er Deutscher, zur Besuch bei Familie in Sankt Petersburg, Sylvester feiern. Ihre Tradition: bei jedem Flug Wodka trinken. Wodka hatten sie leider nicht an Bord, es hätten sich im Laufe der Zeit zu viele Leute damit abgeschossen. Also musste Bier her. Und weil ich nunmal nebenan saß, quasi zur Familie gehörte, zum erlesenen Kreis, musste ich auch trinken.
So spät am Flughafen war ich übrigens nur, weil ich noch Kaffee kaufen musste auf dem Weg dorthin, und in der Sbahn gemerkt habe, dass ich meine Schlüssel vergessen hatte in meiner Tasche.
Aber als ich dann in Veras Wohnung saß, eine Tasse schwarzen Tee in der Hand, auf dem zehn Zentimeter Durchmesser umfassenden Röhrenfernseher laeuft The Big Bang Theory in russisch synchronisierter Version und draußen glitzern die letzten Reste halb geschmolzenen Schnees traurig in der Dunkelheit, da wusste ich: ich bin angekommen. Alles wird gut.
Wenn es Tee gibt, dann ist alles in Ordnung.

Ankommen, Weggehen, Neuanfangen

Und wenn du keinen Mut hast, dann nimm‘ meinen – ich kann ihn dir borgen, ich hoffe, du kommst damit heim.
Nur werden muss jeder – werden muss jeder für sich allein.
Es hat alles funktioniert. Ich bin schon auf halbem Weg nach Russland. Ich kann noch nicht ganz fassen, dass aus dieser spontanen Schnapsidee, resultierend allein aus der Angst vor dieser einen Klausur, ein tatsächliches Auslandssemester in St. Petersburg geworden ist.
Was ich aber noch viel weniger fassen kann, ist, dass ich gestern tatsächlich für die Zeit meiner Visalücke einen Flug nach New York gebucht habe. New York. Und Ansgar wird aller Voraussicht nach auch da sein. Erst war ich ein bisschen skeptisch. Eine teure Damelei. Ich könnte ja auch einfach wieder nach Berlin, oder nach Tallinn oder Finnland, aber als ich heute mein Hostel gebucht habe, da hat die Aufregung eingesetzt. Jetzt gibt es noch unglaublich viel zu erledigen. Verschiedene Ärzte müssen abgeklappert, Anträge gestellt, Formulare ausgefüllt, Geld beschafft werden. Und das alles in den kommenden 19 Tagen. Außerdem muss ich noch diverse Schriftlichkeiten für die Uni erledigen. Ich weiß noch nicht ganz, wie ich das schaffen soll, aber ich werde es schaffen.
David ist verwirrend, wie immer. Er nennt uns lover und möchte immerzu Skypen, dann fragt er mich, ob ich ihn betrügen würde, wenn wir rein hypothetisch zusammen wären. Und wenn ich ihn dann frage, ob wir uns wiedersehen wollen, bekomme ich keine Antwort und als ich ihm erzählte, dass ich nach New York fahren werde, hat er mich ausgelacht und mir viel Spaß gewünscht. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, weil ich glaube, dass es eh nichts bringt, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, was ich erwarten soll. Nachdem wir uns gestritten hatten hatte ich das Gefühl, dass wir beide ein bisschen mehr verstanden haben, wie viel uns doch eigentlich aneinander liegt. Despite my best efforts I have to admit that we really like each other. Aber was macht man damit, wenn einem jemand soetwas sagt?
Ich möchte schlafen, einfach schlafen. Gestern und heute habe ich das getan, es war einfach zu viel, okay, ich war heute morgen verkatert, aber es ist zu viel, zu viel zu erledigen, Uni, Fußball, Ausland, David, Zimmer vermieten, ich hab keine Zeit für mich selbst und Angst, einfach auseinander zu fallen, wenn ich das nächste Mal wieder etwas Luft habe. Funktionieren, solange man funktionieren muss, bis die Maschinerie ins Stocken gerät.