MonatAugust 2016

Morgensonne

Ich wache auf, weil die Sonne mit unbarmherziger Härte in mein Zimmer scheint. Mir ist unerträglich warm. Ich ziehe die Vorhänge zu und lasse mich noch mal in meine Kissen sinken. Aussichtslos, ich bin wach, dabei hat mein Wecker noch längst nicht geklingelt. Eigentlich habe ich auch gar nicht richtig geschlafen, mich nur stundenlang hin- und hergewälzt, immerzu von einer Seite auf die andere, die Beine angezogen und wieder langgemacht, mal mit, mal ohne Decke habe ich die letzten acht Stunden im Bett gelegen und um das Recht auf körperlichen Energiesparmodus gekämpft.
Doch die Augen zu öffnen heißt nicht, die Beine aus der Kiste zu schwingen. Die Augen zu öffnen heißt anzufangen, klare Gedanken zu fassen. Heißt anzufangen, zu zweifeln, zu vermissen, zu wünschen, hoffen, hassen und fürchten. Ich rolle mich auf den Rücken und starre an die Decke. Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass in der Nacht niemand an mich gedacht hat. Ich will duschen, kann mich aber nicht zum Aufstehen motivieren, also bleibe ich einfach liegen. Mein Kopf braucht keine Einfindungsphase, er fängt direkt an, Ideen und Satzfetzen wild durcheinander zu feuern. Nach einer weiteren Stunde bewusster Prokrastination setze ich mich auf, falle auf den Boden und schleppe mich ins Badezimmer. Wenn man erst mal steht, sind Sachen einfacher: Duschen funktioniert. Porridge kochen, Essen, Kaffeetrinken und Zeitunglesen auch. Dann putze ich mir die Zähne und lege mich noch mal hin. Ich kontrolliere die Nachrichten erneut auf Informationen über Flugabzeugstürze im Atlantik, aber es ist nichts passiert und ich bin tatsächlich irgendwie erleichtert, obwohl ich natürlich genau weiß, wie unwahrscheinlich das ist. Eine weitere Stunde vergeht, in der ich denke: bevor du arbeiten gehst, musst du wenigstens noch ein paar Seiten gelesen haben für die Uni. Dann: aber du schaffst das eh nicht. Vielleicht solltest du stattdessen lieber anderweitig produktiv sein und für die WG einkaufen gehen. Dann: unmöglich, rausgehen und soziale Interaktion sind grad nicht drin. Also: vielleicht schaffst du’s ja, dich für dieses Stipendium zu bewerben.
Ich setze mich also an den Computer, recherchiere, ordne, trage zusammen und verfasse ein Motvationsschreiben. Als alles tatsächlich ausgedruckt vor mir liegt gönne ich mir einen kleinen Anflug von Stolz, dann versuche ich, auf der Webseite der Deutschen Post eine Briefmarke auszudrucken. Passwort funktioniert nicht. Nächster Versuch. Passwort funktioniert nicht. Zurücksetzen. Keine E-Mail. Zurücksetzen. Keine E-Mail. Zurücksetzen. Ich kriege eine Facebook-Nachricht: es gibt verschiedene Sprachkurse, sie kosten zwischen 900 und 1200€. Ich schaue auf mein Konto: 300€ für den ganzen nächsten Monat. Immer noch keine E-Mail. Ich breche an meinem Schreibtisch zusammen, fühle mich wie eine zersplitterte Porzellanfigur und krieche geschlagen ins Bett. Dann blinkt mein Handy: eine Nachricht von der deutschen Post. Ich fasse neuen Mut, begebe mich zurück an den Rechner, setze das alte Passwort zurück, erstelle ein Neues und versuche mich einzuloggen: ihr Account ist temporär gesperrt.
Ich gehe zurück ins Bett.

Viel Haar um nichts

Jup, das war’s tatsächlich. Ziemlich genau sechs Monate. Plus zwei Tage. Ich war nie so verliebt wie du mich gemacht hast, aber vermissen, vermissen werde ich dich trotzdem.

// Was du zurückgelassen hast: einen Haufen schwarzer Haare in meinem Bett und überall in der Wohnung, wenn ich genau hinschaue. Deinen Geruch in meinen Kissen und dein T-Shirt. Ein paar warme Erinnerungen an weiche Lippen und Augen wie Kaffee oder Schokolade. Einen Fußabdruck in meinem Kopf..

Nichts leuchtet

Heute Mittag in der Uni zwischen Laptop und einem Stapel aufgeschlagener Bücher ist mir schlagartig klar geworden: Samstag 12 am. Das ist die Deadline. Danach werde ich ihn nie wieder sehen. Und plötzlich fühlt es sich so an, als sei alles in meinem Kopf  einmal von innen nach außen gestülpt worden, mir wird schlecht, meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich lege meinen Kopf auf den Tisch, damit niemand sieht, wie ich anfange zu zittern, fühle mich trotzdem beobachtet und muss die Bibliothek verlassen. In der Bahn erstarrt mein gekünstelt desinteressierter Blick auf der Fensterscheibe während ich die Musik laut drehe, um meine Umgebung nicht wahrzunehmen. Ich versuche, tief ein und aus zu atmen und denke: reiß dich zusammen. Es sind nur 15 Minuten, aber sie fühlen sich an als spielte ich die Hauptrolle in einer Erstaufführung im Theater – alle beobachten mich, alle bewerten mich. Als ich endlich an meiner Haltestelle ankomme halte ich mich an meinem Telefon fest, ein Schritt, noch ein Schritt, noch ein Schritt, aber nicht rennen, werd nicht panisch, es ist alles gut, die Welt dreht sich.
Gestern in der Prager Metro war alles okay. Ein Abschiedskuss, dann gehe ich mit Schwung durch das Drehkreuz und ich weiß: kein zurück mehr jetzt. Aber mir geht’s gut, ich freue mich sogar und fühle mich leicht, unbeschwert, beschwingt. Beim Training laufe ich in Rekordzeit, ich bin gestresst, aber irgendwie glücklich.
Jetzt ist alles auf einmal so nah. Ich fühle mich unglaublich zerbrechlich und empfindlich. Meine Haut ist aus Glas. Mein Kopf inzwischen: leer. Mein Herz: auch leer. Ein leeres Mädchen in einem leeren Haus, eingepfercht zwischen hohlen Phrasen von Verlust und es geht immer irgendwie weiter. Die Lampen sind aus. Nichts flackert. Keine Kerze brennt. Nichts ist erleuchtet. Es ist dunkel draußen, drinnen.

 

Kategorischer Konjunktiv

Mein Kopf ist voll und unsortiert. Ich habe so viel zum schreiben und gerade keine Nervenbahn frei, die sich darauf konzentrieren könnte. Meine Finger schweben in gieriger Erwartung über der Tastatur aber es kommt nichts dabei rum. Ich könnte, wenn ich wollte, kann ich, wenn ich will?

// Meine Füße federn über den Asphalt, links rechts links rechts, ich bemerke die Sonne auf meiner Haut, spüre meine Körperhaltung und konzentriere mich auf meinen Luftstrom. Einatmen. Ausatmen. Versuchen zu entspannen. Nach drei Kilometern bricht dieses fragile Gebilde aus vesuchter mentaler Ablenkung zusammen, ich gebe auf und gehe wieder nach Hause. Gefühlsstatus: als ob ich versuche, im Meer vor einer großen Welle wegzuschwimmen, die droht, über mir zusammenzubrechen – scheitere, untergehe, nach Luft japsend wieder auftauche – nur um mit gnadenlos überwältigender Leichtigkeit erneut weggespült zu werden – weiter, weiter – Land in Sicht? – nein, aber ein Stück Holz zum festklammern – fragmentarische Erinnerungen an die Küste – Rettung ist immer nur kurzweilig, festen Boden unter den Füßen bekomme ich nicht. Man schlägt sich so durch.

Dramatischer Modus

Skype. St. Petersburg – Lübbecke.
Er: Well, I guess in the broadest sense of the term – we are in love.
Ich: What do you mean by „the broadest sense of the term“?
Er: Endorphins and stuff.
Ich: Okay. Endorphins.

Auf der Straße auf dem Weg nach Hause vom Edeka.
Jenny: Alex ist verliebt, Alex ist verliebt!
Ich: Nein.
Jenny: Ihr solltet das einfach endlich zugeben. Stell dir vor, in zehn Jahren, und ihr konntet euch nie auf jemand anderen wirklich einlassen, weil..
Ich: Kalifornien.
Jenny: ..ihr euch nie eingestehen wolltet, dass ihr verliebt ineinander seid..
Ich: Kalifornien.
Jenny: ..und dann seid ihr richtig lange total unglücklich, das will doch auch niemand..
Ich: Kalifornien.
Jenny: ..also lebt es doch einfach aus und genießt es und freut euch!

Whatsapp.
Er: Hey you. Talk to me.
Ich: I’m analyzing Russian poems. […] Exciting, isn’t it?
Er: You’re exciting. Come over here, I want you.

/ „Kalifornien. Kalifornien. Kalifornien..“ murmelnd ab.