MonatMärz 2016

Nimm dir mehr!

Petersburg ist so ziemlich das verschneite Äquivalent Londons. Der Himmel ist pausenlos grau, Wolken ziehen ihrer Wege, Kassiererinnen sind immer schlecht gelaunt. Inzwischen ist der Schnee dem Eis gewichen und die Leute blockieren ständig mit ihrem Hintern den Bürgersteig. Es ist auch kälter geworden, aber mir persönlich ist es ziemlich egal, ob jetzt -8 oder nur -1 Grad herrschen, kalt ist kalt. Nach einer Woche bin ich mit den Briten noch keinen Schritt voran gekommen, obwohl mir eine meiner Kursmitgliederinnen gesagt hat, mein Pullover sei schön – das muss man vielleicht auch als Erfolg sehen. Ansonsten war ich gestern mit dem Ami, dem Texaner und dem Spanier in einem Restaurant, das „der Zar“ hieß und das wir hauptsächlich besucht hatten, weil das Gerücht umging, die Toiletten dort seien so schön (waren sie wirklich. Eingebettet in einen Thron in einem Raum voller pornografischer Malereien, deren pikanteste Stellen mit hübschen grellgrünen Blättern überdeckt waren). Im Zar konnte man einen Granatapfelsaft für 1000 Rubel (c.a 12€) oder heiße Schokolade für 350 Rubel (ca. 4,50€) bestellen. Ich habe mich für die heiße Schokolade entschieden, aber sie war nicht besonders atemberaubend. Dafür war die Bedienung nett und am Ende meines Aufenthaltes durfte ich auf einem Thron sitzen und die Herrschaftsinsignien in der Hand halten, das sind die 4,50€ doch schon fast wert.
Ja, nun. Am Freitag gehe ich dann Eishockey spielen. Ich bin gespannt. Wie ich mich kenne ziehe ich mir irgendeine absurde Verletzung mit fantastischem Namen zu und mein Aufenthalt ist vorbei, aber das Risiko gehe ich ein. Dadurch, dass ich hier so sehr mit leckerem Essen vollgestopft werde („Nimm Butter! Nimm mehr Butter! Iss noch ein Brot! Nur einen kleinen Schluck Wein! Noch einen!“) bin ich ganz froh um sportliche Betätigung. Auch die Tatsache, mal nicht mit den immergleichen Leuten aus der Schule rumhängen zu müssen ist verlockend.
Es ist übrigens etwas außergewöhnliches passiert. Es ist das eingetreten, wovor ich mich so sehr gefürchtet habe, bevor ich abgefahren bin. Etwas ganz und gar abenteuerliches.
Kohl.
Ich habe Gerichte gegessen, die zu 90% aus Kohl bestanden – und sie waren lecker! Was aber nicht heißt, dass ich das Zuhause nachmache. Das sind besondere Umstände. Überhaupt weiß ich auch gar nicht, was das war oder wie man das nachmacht und nein, das kann ich unmöglich fragen.

Ob ich wohl immer noch ich sein werde, wenn ich wiederkomme? Oder werde ich zu einer kohlessenden, eishockeyspielenden Maschine mutieren? Wer weiß. Wer weiß..

Meine liebste Phrase

Gestern wurde ich gefragt, was denn meine liebste deutsche Phrase sei. Ich konnte nicht antworten – beim ganzen Hin- und Herschalten zwischen Englisch und Russisch habe ich mein Deutsch irgendwo vergessen. Aber nicht schlimm, als ich heute gefragt wurde, ob ich ins Marinski Theater gehen möchte, es gäbe da jemanden, der billig an Tickets kommt, fragte ich meine Freunde nach Begleitung – und erntete nur Ablehnungen. Theater? Ballett? Oper? Nichts für mich! „Kulturbanausen“, dachte ich und da war sie: eine meiner liebsten deutschen Phrasen. Wie übersetzt man das ins Russische? Ich habe nur gesagt „Leute, die Kultur nicht mögen“, aber ich finde, das ist nicht alles. Ich sah mich heute mit dem Vorwurf konfrontiert, man habe im Deutschen ja für alles ein Wort, zur Not denke man sich eben eins aus, man könne ja alles zusammenfügen, wie es einem passe. Ja und nein. Ich war ja schon immer der Meinung, dass dem Deutschen so manche Spezifika fehlten, aber Kulturbanause ist eines, das ich brauchbar finde. Ich habe das Gefühl, ich lerne hier in Russland mehr über meine eigene Sprache und Kultur als alles andere. Dinge, über die man sich Zuhause nie Gedanken macht. Besonders interessant zu beobachten ist auch das Aufeinanderschmettern von Briten und Russen. In meinem Sprachkurs sind ausschließlich Briten. Alles nette Menschen, aber total reserviert. Höflich, aber kein Stück neugierig. Und auf der anderen Seite die extrem wissbegierigen, äußerst einladenden Russen. Kommst du mit zur Geburtstagsparty? Willst du mit uns Hockey spielen? Gehst du ins Theater? Komm doch mit! Das klingt ein bisschen stereotyp, in Schubladen gepackt und mit Aufklebern versehen, aber jedes Klischee enthält ein Körnchen Wahrheit.
Mein Ziel für diese Reise: sich mit den Briten zu betrinken. Challenge accepted!