Im Barkett

Ich habe eine Bar in Schöneberg. Sie heißt Barkett. Ich bin nicht die Besitzerin der Bar, aber sie gehört zu mir auf eine andere Art und Weise. Sie ist meine neue Dating-Bar.

„Und, uhm, wollen wir nicht mal einen Kaffee zusammen trinken gehen?“, frage ich und schaue schnell von ihrem Gesicht weg auf den Boden. Ich tipple mit dem Fuß und knete hinter meinem Rücken meine Mütze. Ich wollte sie das schon lange fragen, habe mich aber nie getraut. „Ja, klar!“. Verblüfft schaue ich wieder hoch. „Donnerstag? Aber vielleicht ist Kaffee nicht gut, lieber ein Bier? Es gibt da diese Bar am Kleistpark, die ich ausprobieren wollte. Barkett heißt sie. Vielleicht dort?“ Und so hat das Ganze angefangen.

Donnerstagabend, 18 Uhr. Ich komme rein und setze mich vorne rechts in die Ecke am Fenster. Zwei runde Tische stehen nebeneinander, auf der Fensterbank sind kleine bunte Kissen drapiert, gegenüber steht ein Stuhl. Ich setze mich auf die Bank.

Als sie kommt, setzt sie sich neben mich. Ich werte das als gutes Zeichen. Wir bestellen zwei Bier und quatschen. Dann bestellen wir zwei Gin Tonic mit Gurke und quatschen weiter. Ihre langen, dunkelblonden Haare wippen lustig hin und her, wenn sie beim Lachen ihren Kopf in den Nacken wirft. Ich rücke näher an sie heran, berühre sie sanft am Arm und versuche, ihre Reaktion zu lesen. Sie reagiert nicht. Dann sagt sie: „Es wird spät, ich sollte nach Hause gehen.“ und ich will sie zum Bleiben überreden, aber auch nicht aufdringlich sein, also frage ich „Bist du sicher?“, sie nickt, wir umarmen uns, steigen auf unsere Fahrräder und fahren in unterschiedliche Richtungen nach Hause.

Donnerstagabend, 19.45. Er sagte, er sei zu spät, also bin ich später losgefahren. Jetzt hetze ich schwitzend auf meinem Fahrrad den Hügel hoch. Als ich ankomme ist er schon da und wartet draußen. Wie ist die Etikette so beim Begrüßen von Online-Bekanntschaften? Er entscheidet sich für eine Umarmung. Wir gehen rein, setzen uns vorne rechts in die Ecke am Fenster und putzen unsere dickumrahmten Hipsterbrillen; seine schwarz, meine lila.

Es bedient mich die gleiche Kellnerin wie beim letzten Mal. Ich frage mich, ob sie sich an mich erinnert, aber sie macht keine Anzeichen. Wir bestellen zwei Bier und quatschen. Er erzählt mir von seinem Job bei Google und seinem Apartment in Kreuzberg. Ich nicke und höre zu. Nach der dritten Runde bin ich angetrunken genug, um zu sagen: „Ich weiß jetzt alles über dich, aber was weißt du über mich? Man stellt doch Fragen, wenn man neue Leute kennenlernt!“ Ich verschlucke mich fast an meinem Bier als er antwortet „Das stimmt, ich bin nervös! Okay, lass mich überlegen. Du hast eben angedeutet, dass dein Verhältnis zu deiner Mutter nicht so gut ist, warum?“ Ich schaue ihn an, schaue mein Getränk an, zucke mit den Schultern und erzähle es ihm.

Anderthalb Stunden Therapiesitzung später taumeln wir Arm in Arm aus der Bar auf der Suche nach etwas mehr Punk. Der Abend endet um halb zwei mit verrauchten Klamotten und einem flüchtigen Kuss, er steigt in die U-Bahn, ich auf mein Rad. Wir verabreden uns für den nächsten Tag und sehen uns danach nie wieder.

Montagabend, 19 Uhr. Ich bin überrascht von meinem Planungstalent und komme pünktlich und frisch am Barkett an. Trotzdem steht er bereits draußen und wartet. Ich hatte vergessen, wie er aussieht, weil ich ihn auf einer Party kennengelernt und erst Wochen später meinen Kumpel nach seiner Nummer gefragt habe. Ich hinterlege eine mentale Notiz in meinem Gehirn: erstaunlich groß, blond und unerwartet attraktiv.

Als wir reingehen, ist die Ecke vorne rechts am Fenster bereits belegt. Stattdessen setzen wir uns auf zwei heruntergekommene grüne Sessel auf einer Bühne am hinteren Ende des Raumes. Wir bestellen zwei Bier und quatschen. Irgendwann kommt ein Kanadier vorbei und verwickelt uns in eine Grundsatzdiskussion über Ghandi. Er verkauft selbstgemalte Sticker, um Geld für eine Operation für seinen Hund zu sammeln. Ghandi gefällt den Deutschen nicht, sagt er. Am Ende nehme ich ihm für 5 Euro Che Guevara und Fidel Castro ab.

Mein Date und ich bestellen weiter Bier. Nach der dritten Runde lehne ich mich in meinem Sessel so weit vorwärts, dass meine Hand auf umständliche Art fast seine Hand berührt. Dann fange ich wild beim Sprechen an zu gestikulieren, damit aus dem Fast hin und wieder „aus Versehen“ ein Ganz wird.
Als mir kalt wird, weil wir direkt unter der Klimaanlage sitzen, bewegt er sich zwei Mal aus seinem Sessel, um die Bedienung (diesmal männlich) zu bitten, sie auszuschalten.

Ich stehe auf, um eine vierte Runde zu bestellen, dann tauschen wir die Plätze. „Perspektivwechsel“, sagt er. Ich nicke und hake unauffällig meinen Zeigefinger unter seinen Zeigefinger unter. Wir trinken weiter, langsam, Schluck für Schluck, folgt der Rest der Hand. Nach dem fünften Bier sagt die Bedienung „könnt ihr schon mal bezahlen? Wir schließen gleich“.

„Wir können zu mir“, schlage ich vor, als wir kichernd in der Kälte stehen. Wir müssen laufen, weil die U-Bahn nicht mehr fährt. Mir ist kalt und er hält mich fest. Meine Navigationsskills sind mit Anstieg meines Alkoholpegels gesunken und wir sind langsam, finden aber trotzdem den Weg. „Meine Wohnung hat nicht besonders viele Sitzgelegenheiten“, sage ich als ich den Schlüssel umdrehe. „Es gibt genau einen Sessel und die Fensterbank.“ Ich lasse mich auf der Fensterbank nieder, er sich auf dem Sessel. Nach zehn Minuten beschwert er sich, also setze ich mich auf ihn drauf.

Der Rest der Nacht verläuft ereignislos: er geht irgendwann nach Hause – ohne Kuss, ohne Sex. Seitdem war ich nicht mehr im Barkett.

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