fahrradfahren
Weil ich nicht darüber schreiben kann, wo ich bin, weil sich das nicht ändert, sollte ich vielleicht darüber schreiben, wo ich gerne wäre. Aber die seltsamen Geschichten, die einem das Leben oft so entgegen wirft, die kann man sich eigentlich nicht ausdenken.
Ich steige in der Dunkelheit auf mein Fahrrad. Weil es alt ist, und nicht besonders gut in Schuss, fällt mir das Treten schwer. Nach wenigen Metern stelle ich fest, dass ich meinen Helm vergessen habe. Ich überlege ein bisschen, entscheide mich aber schlussendlich dagegen, noch einmal umzukehren. Wozu?
Wenn ich nachts in den Straßen unterwegs bin höre ich absichtlich keine Musik. Nicht, weil ich denke, dass es gefährlich sein könnte. Sondern, um die Stille zu genießen. Die ganz besondere Stille, die nur an Orten vorkommt, die eigentlich immer lärmerfüllt sind. Nun, sofern es unter dem Rütteln und Klappern und Quietschen meines Rades eben still sein kann.
Ich fahre Richtung Zoo, wo die geräuschlose Nacht besonders laut ist. Unterwegs denke ich immer wieder über den Grund meiner Reise nach. Mein Handy vibriert. Mein Rock flattert mir um die Beine. Ich solle mir abgewöhnen, mit Rock Fahrrad zu fahren, sagt sie, aber mir ist das egal. Wenn es warm ist, trage ich einen Rock. Wenn es kalt ist, trage ich auch einen Rock, dann aber mit Strumpfhose. Gerade ist es zum Glück nicht kalt.
Geistesabwesend radle ich die Straße hinunter. Lichter huschen an mir vorbei. Es gibt vielleicht weniger Lärm, denke ich, dafür aber doppelt soviel Licht. Manchmal erregt etwas meine Aufmerksamkeit und ich drehe mich beim Fahren nach links und rechts um. Das ist eine Angewohnheit, die ich leider unabhängig davon, ob viele Autos unterwegs sind, habe, aber ich bin nichtsdestotrotz froh über die Abwesenheit potentiell tödlicher motorisierter Vehikel.
Wieder vibriert mein Handy. Aber alle Ampeln sind grün und ich habe gerade so ein fantastisches Fahrgefühl. Ein Gefühl von Freiheit und Schwung und Geschwindigkeit. Ich werde ihr sagen, dass ich gute Laune habe, nehme ich mir vor. Dass ich froh war über ihre Nachricht, auch, wenn sie seltsam ambig klang. Mich überholen ein paar Krankenwagen, die mit ihrem blauen Flackern und den schreienden Sirenen den dunklen Samtvorhang meiner Gedanken gewaltvoll beiseitewischen.
Nur noch einmal rechts, einmal links abbiegen, dann bin ich da. Als ich um die Ecke düse, mache ich mir eine mentale Notiz, dass hier ein neues Café aufgemacht hat. Das wird ihr gefallen. Wir könnten morgen dorthin gehen und einen Café Au Lait trinken, das ist ihr Favorit, und einen Carrot Cake frühstücken, mein Liebling, weil wir es können, weil Sonntag ist und sich niemand darum scheren wird, weil man das Leben auch mal genießen muss, und man sich mit diesen ausländischen Bezeichnungen für alltägliche Nahrungsmittel so wunderbar international fühlen kann.
Als ich nach zwanzigminütiger Fahrt etwas keuchend bei ihr vor der Tür stehe und klingele, bin ich optimistisch gestimmt. Die Zukunft, male ich mir aus, wird kaffeegetränkt und gemütlich sein. Ein verliebtes Lachen im Schneidersitz mit zurückgeworfenem Kopf auf einem buntgemusterten Teppich. Ich klingele noch mal.
Wo bleibt sie denn?