MonatMärz 2020

Zu Hause sitzen und stricken

Man hat jetzt etwas Zeit zum Stricken. Stricken ist allerdings nur dann halbwegs erfüllen, wenn man nebenbei etwas anderes macht. Vielleicht werde ich so endlich den Wert von Podcasts und Audiobooks zu schätzen lernen.

Eigentlich ist zu Hause bleiben gar nicht so viel anders wie nicht zu Hause bleiben, aber doch irgendwie schon. Es ist schwierig, wenn die Menschen in deiner Umgebung diese Ansicht nicht teilen – dass man eben zu Hause bleiben sollte. Nicht, weil man es will, sondern, weil es das Richtige ist. Nicht, weil man Angst hat, sondern, weil man nicht Teil des Problems sein will.

Es ist schwierig in Russland. Viele verstehen nicht, was das alles soll. Eine Freundin meinte heute zu mir, ich würde überreagieren, weil ich den Stay-At-Home-Maßnahmen tatsächlich Folge. Sie sagt „aber es ist nur eine Empfehlung!“ – ja, aber es wird keine bloße Empfehlung bleiben, wenn du trotzdem weiter feierst. Sie sagt „seltsam, dass du jetzt so reagierst, dabei hast du auf den Anschlag auf die Metro vor ein paar Jahren eher abweisend reagiert.“ Und ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll. Was hat ein terroristischer Anschlag mit einem Virus zu tun? Ich sage ihr, ich kann keine Anschläge verhindern, egal, was ich tue. Aber ich kann verhindern, dass ich nicht aus Versehen andere Leute anstecke. Ich sage auch, wenn ich die Metro weiter benutze und unvorsichtig bin und dann ein Anschlag passiert, ist das meine eigene Schuld und mein eigenes Problem, das betrifft nur mich. Sie sagt „Hast du gerade ernsthaft gesagt, Leute, die bei einem Anschlag sterben, sind unvorsichtig?!“ Ich seufze. Ich sage, vielleicht bist du nicht genug informiert. Sie sagt, wie viele Menschen kann eine einzige Person wirklich anstecken? Ich zeige ihr eine Grafik. Sie sagt, sie will nicht weiter darüber reden.

Und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Es geht nicht darum dass wir einfach unterschiedlicher Meinung sind. Es ist so: das hier ist kein Thema, bei dem man unterschiedlicher Meinung sein kann. Man kann sich nicht positionieren. Entweder man bleibt zu Hause/auf Distanz oder man ist eben ein egomanischer Arsch. Sie sagt, sie versteht nicht, warum ich so Angst habe, krank zu werden, wie wahrscheinlich sei das bitte? Ich wiederhole, es geht nicht um mich. Sie versteht nicht. Es ist eine Sache von Moral. Ich will nicht mit Menschen befreundet sein, die so auf sich fixiert sind, dass sie das globale Problem nicht sehen.

Sicher, ich habe am Anfang auch gedacht, alle schnappen über. Aber ich habe auch nicht aufgehört, Nachrichten zu lesen und dann meine Meinung geändert.

Natürlich sind die offiziellen Zahlen in Russland gefälscht. Man braucht nicht mehr als drei Gehirnzellen, um das zu verstehen. Warum denken die Russen, es sollte hier anders sein als im ganzen Rest der Welt? Es ist schließlich nicht nur ein europäisches Land oder zwei. Es ist Deutschland, Spanien, Italien, die Staaten, China, Indien, Iran, überall. Sonst höre ich überall „den russischen Medien kann man nicht vertrauen, Putin gehört schon längst abgeschafft“, jetzt nicht. Jetzt heißt es „bei uns gibt es kein Problem.“ Oder allerhöchstens „das ist doch nur in Moskau“. Richtig, es bleibt natürlich auch in Moskau. Leute reisen nicht. Es gibt keinen Geschäftsverkehr zwischen Sankt Petersburg und Moskau. Die Ehrfurcht des Virus vor dem Venedig des Nordens ist viel zu groß, um hier Fuß zu fassen.

What the fuck.

Ich kann meine Fassungslosigkeit und Verzweiflung einfach nicht in Worte fassen, es ist so frustrierend, wo man hinguckt scheinen die Leute zu glauben, es betrifft sie nicht. So wie überall anders auch, und überall anders ist das gleiche geschehen: das betrifft uns nicht. Oh shit! Es betrifft uns doch! Oh nein! Zu spät.

Aber es bleibt mir ja nichts übrig, wenn man vor den Fakten die Augen verschließen möchte, dann kann ich nicht viel dagegen tun außer zu Hause bleiben und stricken.

Zuhause

Ich bin zu Hause, natuerlich bin ich zu Hause, so wie alle anderen auch. Es ist Russland und es ist noch sehr ruhig hier, wie sollte es auch anders sein, das Land ist schliesslich unantastbar.

Es passiert sonst nicht viel momentan und das ist gut so. Ich arbeite mal mehr, mal weniger, gehe mal mehr, mal weniger aus, aber alles verlaeuft ungewohnt undramatisch. Das Wichtigste ist, dass immer genug Cashews im Haus sind.

Wir haben Maslenitsa gefeiert vor ein paar Wochen, das russische Fruehlingsfest, wir haben kleine Puppen aus Papier und Socken gebastelt und sie anschliessend verbrannt. Die Asche haben wir mit etwas uebrig gebliebenem Schnee abgedeckt, dann sind wir Essen gegangen. Am Ende haben wir ein neues Kabel fuer unseren Fernseher gekauft, weil das Alte neulich explodiert ist.

Jetzt haben wir also eine schoene Wohnung mit sinnlosen Treppen, die ins Nichts fuehren und viel Holzdekor. Ausserdem Lampen. Viele Lampen. Und Spiegel. Sehr viele Spiegel. O-Ton David: „Ich mache den ganzen Tag nichts anderes mehr, als mich im Spiegel anzuschauen“. Es ist Realitaet.

Am Samstag waren wir im Theater, heute lese ich in den Nachrichten, dass alle Theater und Museen fuer Auslaender geschlossen werden sollen. Gibt es dann Reisepass-Kontrollen an den Eingaengen? Man weiss es nicht.

Die Frau vom Obst-und-Gemuese-Laden nebenan hat mir heute Kuerbiskerne anstatt getrockneter Cranberries verkauft und dann behauptet, ich haette Kuerbiskerne gesagt, nicht Cranberries. Dann hat sie mich gefragt, ob ich Schauspielerin sei. Ich sagte, ich sei sehr schlecht im Schauspielern. Sie war verwirrt. Der Hoehepunkt meines Tages.

Ich sitze also zu Hause und ich weiss nicht, was ich tun soll. Soll ich lesen? Pilates machen? Irgendetwas umraeumen? XBox spielen? (Wir haben letzte Woche nach dem Theater in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Xbox gekauft. Dafuer sind wir von 21.30 bis 11.30 quer durch die Stadt gereist und haben Konsole, Controller und Spiele gekauft. Jetzt gehen wir nie vor 1 Uhr ins Bett, weil wir die ganze Zeit Borderlands 3 spielen.)

Vielleicht wuerde ich gerne zeichnen, aber was zeichnen? Der Ausblick aus meinen Fenstern endet nach drei Metern in einer Wand, Utensilien habe ich auch wenig. Man koennte noch ein wenig Kroatisch lernen. Aber wozu Kroatisch? Ne znam.

Wozu ueberhaupt irgendetwas?