MonatSeptember 2017

Riesen-Waschbären vs Gefüllte Pizza

Und es war ja von Anfang an klar, dass das, wenn überhaupt, nur etwas äußerst Temporäres mit uns ist und dennoch war ich überrascht über die Abruptheit deines Abgangs. Und jetzt jedes Mal, wenn ich durch meine Nachrichten gehe und mir überlege, dir zu schreiben – denn, hey, ich bin gerade so nah wie nie! – denke ich daran, warum ich mich seit Wochen nicht melde, denke daran, was Zoe gesagt hat, lese mir durch, was du als letztes geschrieben hast, schaue die Bilder an, die du nicht nur mir geschickt hast und fühle mich einfach leer, wütend, wertlos. Ich vermisse nicht dich, ich vermisse jemanden zu vermissen. Ich bin froh über meine Unabhängigkeit, aber vielleicht ist es nach anderthalb Jahren auch mal wieder Zeit? Aber ich kann nicht. Nicht jetzt, nicht so, mit niemandem.

Ich habe übrigens angefangen, meine liebsten Komplimente aufzuschreiben und momentan sieht mein Evernote-File folgendermaßen aus:

  1. „Der Arnold (Schwarzenegger) wäre stolz darauf, dich seine Schwiegertochter nennen zu können!“ (mein neuer Favorit, und ich glaube, diesmal kommt so schnell nichts daran)
  2. „I started going to Couchsurfing because of her, but she’s so high up there and I am only down here.“ (Zoe hat mir erzählt, dass das der widerliche Typ vom CS MeetUp in Petersburg erzählt hat nachdem ich gegangen bin. Ugh. Aber wunderbar ausgedrückt.)
  3. „Did you know that this is a sign of beauty in America“ *küsst Muttermal* (Aber auch nur, weil David das ungefähr 100 Mal an diesem Abend wiederholt hat, weil er so betrunken war.)
  4. „Du bist sehr schlau, weil du eine Brille trägst.“ (Die beiden teilen sich eigentlich den dritten Platz)
  5. „You’re the worst German ever“ (Irgendeiner meiner russischen Freunde darüber, dass ich immer zu spät und total unorganisiert bin)
  6. „Thank you for being here!“ (Irgendein wie ein Magier aussehender Typ in einem Park in San Francisco, nachdem er mich gefragt hat, ob es schon 12h ist)

Der Pub Crawl endete übrigens damit, dass ich in eine halbstündige Diskussion mit dem Barkeeper verwickelt war, ob Amerikanisches oder Deutsches Bier besser sei. Nach langem hitzigem Hin und Her meinte ich „But do you know what we have that you don’t“ „No, what?“ „Healthcare“, woraufhin alle in Lachen ausbrachen, der Barkeeper mir ein High-Five gab und die Debatte ein Finale fand. Dann bin ich zur Bahnstation gerannt, weil mir gesagt wurde, ich müsste rennen, und als ich ankam musste ich 12 Minuten warten. Amis. Sowieso alle Großstadt-/Nicht-Dorf-Kinder, deren Gehgeschwindigkeit ungefähr 3 km/h beträgt und für die alles über 500m „total weit“ ist.

Ich habe gefühlt 10 kg Pizza im Kühlschrank, weil ich gestern mit Harsh Pizza essen war und jeder von uns nach 2 Stücken (!!!!) satt war (und das, obwohl ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte) und er mir dann auch noch seine Überreste mitgegeben hat, weil er ja heute nach Europa fliegt. Ich habe zwar noch nie so viel für ein Stück Teig mit Gemüse und Tomatensoße bezahlt ($30), aber dafür reichen eben auch zwei Ecken, um den Magen für einige Stunden zu füllen.

Die Mitbewohnerin meines Hosts in der Cottage (warum habe ich eigentlich momentan so wahnsinnig viel Glück im Bezug auf das Wo meines Couchsurfens) in der ich gerade bin hat eben geklopft und gefragt, ob ich ihr helfen kann ein paar Möbel nach unten zu tragen und dabei hat sie mir erzählt, dass das Haus gestern von einem gigantischen Waschbären angegriffen wurde. Ich habe vorgestern als ich von meiner undankbaren Überquerung der Golden Gate Bridge („die blöde Brücke“) wiederkam das erste mal in meinem Leben einen Waschbären gesehen und die Viecher sind zwar wahnsinnig niedlich, sehen aber auch verdammt (hinter-)listig aus. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich als Kind mit meiner besten Freundin zu viel Sly Cooper auf der PlayStation gespielt habe.

Ich hab mir eben die Zähne geputzt weil ich nach meinem Pizzaabendbrot dachte, dass ich sowieso nichts mehr esse für den Rest des Tages und mir noch mühevoll ein paar Kekse in den Mund gestopft habe, weil ich plötzlich so ein unstillbares Verlangen nach Schokolade hatte (und als ich an der Kasse stand wurde mir $1 für irgendwelche Karten, die ich nicht besitze, von der Rechnung abgezogen – ich versteh andere Länder und ihre Rabattsysteme einfach nicht, ich kriege ständig irgendwelche Rabatte für Dinge, die ich nie getan habe) und jetzt habe ich wieder Hunger. FML.

On a whim

Zugegeben, als ich in San Francisco ankam war ich schon etwas zerstört. Nachdem ich mir den Rucksack vernünftig auf den Rücken geschnallt hatte und das Auto um einige Meter hinter mir gelassen habe, wurde mir erst die ganze Tragweite der Situation bewusst. Während der paar Schritte zur BART-Station formte sich ein Kloß in meinem Hals, ich musste ein mal heftig schlucken und kurz blinzeln, um meine Fassung wieder zu erlangen. Da war sie wieder, die Einsamkeit. Die Sorge, was als nächstes kommt. Die Unvorhersehbarkeit, die ich so gemütlich abgelegt hatte für ein paar Tage.

Aber der Reihe nach. Ich wollte ja eigentlich am Freitag von LA nach SF trampen, hat aber nicht geklappt. Es sind irgendwie zu viele Dinge dazwischen gekommen. Ich wurde im Auto zu den schönsten Klippen und Stränden der Stadt kutschiert, durfte mich im Supermarkt austoben und auf der gemütlichsten Couch der Welt schlafen. Dann saß ich ein paar Stunden verwirrt in der Sonne rum und habe gewartet. Darauf, dass etwas passiert. Und es passierte etwas. Ich hatte das große Glück, auf Couchsurfing jemanden zu finden, der zu einem Businesstrip in Los Angeles war. Er hatte ein freies zweites Bett im Hotel übrig, ein Mietauto und ganz viel Zeit. Ich weiß, das klingt im ersten Augenblick ziemlich alarmierend. Ich war auch alarmiert. Aber es war wirklich ziemlich großartig. Am Samstag sind wir spontan nach La Jolla gefahren, das ist eine kleine Stadt kurz vor San Diego. Da gibt es Robben! Auf Steinen! An der Küste! Und die machen ganz aufgeregte Robbengeräusche und sind furchtbar niedlich mit anzusehen. Und da wir uns nicht umsonst vier Stunden durch den Stau gekämpft haben, sind wir von da aus noch weiter nach San Diego, weil wir noch ein bisschen das Nachtleben genießen wollten. Allerdings hatte ich Kopfschmerzen, weshalb ich kurz in einer CVS Pharmacy Halt machte und mir Ibuprofen kaufte.

Fehler. Wir hatten gerade unser Dinner in einem fancy mexikanischen Restaurant beendet, da haben die Tabletten nämlich angefangen zu wirken. Und ich war unfassbar high. Denn anscheinend ist neben dem Ibuprofen in den kleinen Kapseln noch ein anderer Wirkstoff enthalten, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Das Ende vom Lied war dann jedenfalls, dass wir wieder zurück nach LA fahren mussten – ohne Nachtleben. Allerdings hatte jemand die Tür von der Tiefgarage geschlossen, in der unser Auto geparkt war, also saßen wir erstmal fest. Während Harsh mit der Polizei telephonierte, streunerte ich verwirrt in der Gegend herum, bis mich zufällig jemand bemerkte und die Tür öffnete. Neben dem Gefühl, auf den Sitz zu schmelzen, habe ich dann die komplette Fahrt über bis zurück ins Hotel geschlafen. Was wohl die Kellner aus dem Restaurant gedacht haben müssen? Dass man mich unter Drogen gesetzt hat, um mich zu entführen? Am nächsten Tag habe ich dann gesehen, dass man AUF GAR KEINEN FALL mehr als zwei Tabletten innerhalb von 24 Stunden nehmen darf – ich hatte drei. Ähm, ups. Soviel dazu.

Die restliche Zeit in LA bestand aus im Stau stehen, zu schönen Orten fahren, essen, chillen. Gestern sind wir nach San Francisco gefahren und es war einfach so unglaublich langweilig, Kalifornien Inland ist nicht wirklich interessant – ein paar Hügel und ganz viel vertrocknetes gelbes Gras. San Francisco jedoch.. ist alles das, was LA nicht ist. Eine richtige Stadt – kein lose zusammengewürfelter Verbund 88 individueller Gemeinden. Mit einer richtigen Küstenlinie. Es ist aber auch ein bisschen Parallelwelt. Wenn man hier, generell in Kalifornien, jemandem entgegen kommt und sich anschaut, dann folgt ein bizarres Ritual, bei dem dir ein „Hey, how are you?“ entgegen geschleudert wird und du musst ganz schnell „great, how are you?“ antworten. Mein Gehirn macht das allerdings noch nicht so mit, deswegen antworte ich meistens mit „thanks, you too!“ und ziehe verwirrte Blicke auf mich.

Ein weiterer Grund für dieses Alternative-Reality-Feeling ist der Hippie Hill. Ich wollte nur ein bisschen im Park spazieren, aber nach fünf Minuten hatte ich drei Angebote für Gras, eins zum Rumhängen, vier Menschen, die mir einfach einen schönen Tag gewünscht haben, einer, der sich für meine Anwesenheit bedankt hat und zwei Komplimente für mein Kleid.

Ansonsten: gestern war ich auf einem kleinen Pub Crawl durch SF. Wir müssen wirklich alle anfangen, weniger zu trinken. Morgen. Denn morgen ist Schere-Stein-Papier Turnier.

Nothing is real

Jedenfalls wehten mir diese Worte auf der Straße entgegen, als ich zufällig die Konversation eines mich von hinten überholenden Paares überhörte. Und ein bisschen fühlt es sich auch so an hier, in Los Angeles, als sei nichts real. Der Eindruck wird auch von den gelegentlichen Kunstrasenflecken auf der Straße bestätigt. Im Kern jedoch, von dem, was ich bisher gesehen habe, unterscheidet sich LA abgesehen von der Sache mit den Palmen und dem Kunstrasen nicht großartig von Berlin, jedenfalls nicht vom Verhalten der Leute her.

Mir kam ein Mann entgegen, der sein Plüschnashorn auf den Spielplatz ausführte, ein paar Meter weiter passierte ich ein Zelt, aus dem starker Grasgeruch drang. Im Park übersah ich ein Schild, das mir „Free Energy Healing“ anpries, in Berlin kann ich mir die Aura aus meiner Hand für 30 Euro lesen lassen – das ist wohl eindeutig der schlechtere Deal. Ein Mädchen aus der Metro sang irgendwo in der Ferne schiefe Töne, auf der Straße hören Menschen merkwürdige Hip-Hop Musik. Eine „bowl“ ist quasi ein Salat, aber in fancy und unfassbar teuer. Die Art, wie sich eigentlich alle hier kleiden ist milde mysteriös bis nuttig. Ich kenne die Namen nicht, die mir auf dem Walk of Fame entgegenschreien, das heißt, die meisten nicht, aber ich finde die Sterne verwirrend und das Lesen ablenkend. September ist RAIL SAFETY MONTH, so steht es in der Metro – immer schön nach links und rechts gucken, bevor ein Zug einfährt. Und das wichtigste: wo auch immer eine freie Fläche zum Platzieren von Werbung verfügbar ist, da wird sie auch extensiv genutzt.