MonatJuni 2023

Verzerrte Warteschleifenmusik

Das Warten zehrt an meinen Nerven. Ich weiß nicht, was nächste Woche sein wird, geschweige denn nächsten Monat, nächstes Jahr. Wo werde ich arbeiten? Wo werde ich leben? Mit wem? Ich denke immer wieder, “das sieht gut aus”, nur, um dann doch noch eine Absage zu bekommen. Wofür bin ich gut?

Wenn ich bis Mitte Juli keine Aussicht auf einen Job habe, wird es komisch. Dann fängt R. an zu arbeiten. Und ich? Ich suche seit zwei Monaten, nichts. Es ist frustrierend. Was mache ich falsch in den Vorstellungsgesprächen? Ich will Sicherheit. Seit Covid verändert sich ständig alles. Anfang 2020 war ich im IKEA, um mir einen Schreibtischstuhl zu kaufen. Ich dachte: Endlich angekommen. Endlich lohnt es sich, ein Möbelstück zu kaufen. Hier werde ich bleiben. Ein halbes Jahr später habe ich mich für den Master in Berlin angemeldet. Dann habe ich mich von D. getrennt. Meine Firma ist pleite gegangen. Mein Auslandsaufenthalt abgesagt. R. kennengelernt. Neuer Job. Masterarbeit. Abgeschlossen. Und jetzt sitze ich hier und weiß gar nichts.

Bei zwei Bewerbungen denke ich wieder, das sieht gut aus. Bisher noch keine Antwort. Ab wann muss man sich Sorgen machen? Wenn einem jemand gefällt, meldet man sich dann nicht schnell zurück? Die Warteschleifenmusik verzerrt sich.

Ein Discofox tanzender Pinguin

Ich habe gestern überlegt, ob ich D. schreiben soll. Ihn fragen, wie es ihm geht. Was er macht, wo er ist. Schließlich habe ich seit über einem Jahr nichts mehr von ihm gehört. Das ist Rekord seit wir uns kennen. Natürlich habe ich mich gefragt, ob es okay für R. wäre, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es ihm letztendlich egal wäre. Er würde es vielleicht nicht unbedingt verstehen, hätte aber auch kein Problem damit. Ich habe D. nicht geschrieben. Ich habe unseren Chat geöffnet und ein paar Nachrichten gelesen und mir gedacht: eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, mit dir zu reden. Ich will nur wissen, was du gerade machst.

Ich denke immer noch nicht, dass er absichtlich “abusive” war. Vielleicht sagen das alle, ich weiß es nicht. Ich denke, er ist eine neurodiverse Person, die das nicht einsehen möchte. Er hätte aber auch keinen Grund gehabt, mich weiterhin Dinge zu fragen und dann die Antwort zu ignorieren, sodass er mich hundertmal das gleiche fragt. Immerhin waren wir schon seit einem Jahr nicht mehr zusammen. Er konnte also nur noch verlieren. Er hätte auch keinen Grund gehabt, mit mir zu reden und dann nie auf das einzugehen, was ich sage. Warum dann überhaupt noch mit mir reden?

Je länger wir nicht mehr zusammen sind, desto mehr werden mir Dinge klar, desto dankbarer bin ich für R., desto mehr denke ich this was the good thing covid was supposed to cause.

R. und ich lagen gestern im Bett. Es ging mir nicht gut. Den ganzen Tag habe ich mich kaputt, schlaff, unkonzentriert, schwach, müde gefühlt. Wir haben am Morgen ein bisschen Tanzen geübt, dann bin ich auf der Couch zusammengebrochen. Am Abend wäre unser Kurs gewesen, aber ich konnte nicht. Wir lagen also im Bett und reden über Pinguine. Und ich sage: “Bitte frag nicht MidJourney nach einem Discofox tanzenden Pinguin” und er sagt “Okay, was, das ist gruselig, woher, ich habe, was, ich habe gerade genau das gedacht, wie”. Und ich denke: I know this nerdy little brain of yours and I love it. Er hat mir hinterher ein GIF von einer tanzenden Taube geschickt, und eins aus einem Pingu-Clip. Close enough.

Vor ein paar Tagen habe ich ihm erzählt, ich hätte neulich ein graues Haar gefunden. Und er hat gesagt: Pinguine bekommen keine grauen Haare. Und mir ein GIF von einem Pinguinbaby geschickt. Ich weiß nicht, wann ich mich in einen Pinguin transformiert habe, aber alles an diesem Menschen ist so wholesome. Je mehr ich ihn mag, desto mehr Angst bekomme ich davor, dass wir uns irgendwann trennen. Dass ich doch zu viel bin, zu oft krank, zu kaputt, zu komisch. D. meinte immer of course you’re a pain in the ass, but you’re my pain in the ass und ich fand das schon damals nicht so endearing wie er es ausmachen wollte, vor allem, weil er nie zurückgerudert ist, wenn ich gesagt habe I’m not that difficult, I’m not that complicated, I’m not that hard to be around und er immer nur gesagt hat Oh boy, you are. R. findet mich nicht schwierig, sagt er. Aber man weiß nicht, ob das so bleibt.