MonatJanuar 2023

Mundanes

Als wir in der Bahn saßen nach dem Kino und ich auf deine dunkelgraue Stoffhose geschaut habe, habe ich gedacht: Ich ertrage das nicht mehr, dass ich dich schon wieder so gut kenne. Ich will dich anschreien und weggehen, dich einfach sitzen lassen und nie wieder kommen. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Punkte des Bahnsitzmusters. Weil ich weiß, dass ich nur 10 Stunden vorher, beim Aufwachen, gedacht habe: es gibt nichts Schöneres, als morgens zuerst dein Gesicht zu sehen. Und dass ich dachte: ich liebe es, dich immer besser und besser zu kennen. Aber das ändert nichts an dem Gefühl in dem Moment, in dem ich auf deine Beine schaue. Ein falsch platziertes Stückchen in meinem Gefühlsmosaik, das man nicht mehr verschieben kann, weil es längst angeklebt ist. Und wie soll man das auch einem Menschen klar machen, dass diese Gedanken koexistieren, das bleischwere Nicht-Ertragen-Können und das Samtweich-Verliebt-Sein? Dass ich mich einerseits freue auf die Millionen mundanen Momente, die uns noch bevorstehen und mir andererseits nichts Schlimmeres vorstellen kann, als noch einen weiteren vorhersehbaren Abendausklang?

Wir waren dann noch im Restaurant gegenüber, anstatt etwas zu kochen, wie eigentlich geplant, und irgendwie hat das geholfen. Und ich wollte dir so viele Dinge sagen, aber ich konnte nicht. Nicht, weil ich nicht wusste, wie, oder weil ich Angst vor deiner Reaktion hatte, sondern, weil ich dachte: warum? Was hast du, was haben wir davon, wenn ich dir das jetzt erzähle? Warum musst du das über mich wissen? Nur um zu verstehen, warum ich gerade so schaue? Was ist daran so wertvoll?

Das Letzte, was ich will, ist, dass wir getrennte Wege gehen; manchmal denke ich, ich würde daran zerbrechen, wenn ein solches Ereignis auf meinen aktuellen Gefühlszustand träfe. Aber auch, weil ich wirklich überzeugt von uns bin. Und trotzdem ist da immer wieder dieser Teil in meinem Kopf, der sich denkt Ich halte es nicht mehr aus. Ich weiß natürlich, dass der Teil unrecht hat, aber es ist so gottverdammt anstrengend, permanent gegen sich selbst argumentieren zu müssen.

Ich liebe dich, ich weiß das, wenn es eine Sache in meinem Leben gibt, die mich gerade stets zuverlässig glücklich macht, dann bist du das, und trotzdem immer wieder die gleiche Diskussion mit mir selbst. Dabei gäbe es wirklich nicht mal irgendetwas Reales an dir auszusetzen, nichts schlimmes, wirklich nichts, was über Menschen sind Menschen hinausgeht.

Ich bin so ausgelaugt, so müde, so kaputt, ich will einfach nur schlafen, will, dass mein Kopf mir Ruhe gibt, will einfach zufrieden und von weltlichen Dingen gestresst sein, nicht von imaginären Speerspitzen.

Gleiches Off

Ein Jahr. Spannend. „20:00 sturmfrei bei T.“ stand in meinem Kalender. Ein Quartett aus Osteuropastudierenden, Bier und Cards Against Humanity. Und eine Woche später der Gedanke: Naja, der Kumpel da von H., der war schon irgendwie cute. Vielleicht frage ich mal nach seiner Nummer, was habe ich zu verlieren? Auf genug seltsamen Dates war ich ja in letzter Zeit, was ist da eins mehr oder weniger? Immerhin sieht er gut aus, wenn es zu sonst nichts reicht. Und ein Jahr später der Gedanke: Ich weiß nicht, wie ich dir begreiflich machen soll, wie sehr ich dich liebe; jedes Mal, wenn ich dich anschaue, wenn wir miteinander schlafen, wenn du mich ganz fest drückst und mein Herz vor Gefühlen nur so überschwappt wie eine überfüllte Badewanne voller Zuneigung.

Und gleich gehen wir ins Kino, ins gleiche Kino wie damals, lustigerweise, auf unserem zweiten Treffen, aber damals haben wir Matrix geschaut und es hat draußen ganz fürchterlich geschneit und wir haben uns nicht getraut, uns zu berühren, bis deine Hand ganz langsam Kinosesselarmlehnenzentimeter für Kinosesselarmlehnenzentimeter in meine gewandert ist und ich hatte dir damals geschrieben „Ich hoffe, du hast deine Handschuhe eingepackt!“ und du hast geantwortet „Schneebälle formt man sowieso besser mit den Händen“ und ich war so positiv überrascht, dass du mich sofort verstanden hast, dass ich A. schrieb: ich hab da ein sehr gutes Gefühl. Und dann waren wir spazieren nach dem Kino, im Schnee, im Park, irgendwo in Neukölln, letztendlich doch Hand in Hand und ich stand vor einem Stein und du hast gefragt: „Möchtest du da hoch?“ und ich hab gegrinst und genickt und du hast mir deine Hand hingehalten, um mir aufzuhelfen, und ich dachte: ich hab da ein sehr gutes Gefühl.

Und jetzt sitze ich hier und denke. Und natürlich komme ich nicht umhin, manchmal zu vergleichen. Du hast letztens gesagt: Als wir dann bei dir zu Hause waren, habe ich erst gemerkt – du bist doch ganz schön betrunken. Da hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, irgendetwas zu tun. Ich musste mich eben daran erinnern, wie D. einmal meinte, er hätte mit einer geschlafen, die so betrunken war, dass sie auf ihn gepinkelt hat. Green flags, red flags. Ich dachte mir das damals schon, aber im Kontrast wirkt es noch viel mehr, logisch.