Verbindung Unterbrochen
Flipflops mit Absatz und diese karierten Burberry Socken. Manchmal auch zusammen. Schuhe, auf denen in Großbuchstaben FUCK EVERYONE steht – ich kann das verstehen.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass man hier einen Highway adoptieren kann? Die tragen dann Namen wie CAMP WANOWA und FAMILY WELSEY, ich warte auf BADASS HIGHWAY OF BADASSITUDE oder ein simples FUCK TRUMP würde mir auch genügen, aber Menschen scheinen uninspiriert zu sein in dieser Gegend.
Und dieses eine Mal, als ich an der Metro Station unter dieser riesigen, einschüchternden Autobahnkreuzung darauf gewartet habe, abgeholt zu werden und ein Typ sich einfach neben mich gesetzt und angefangen hat zu Rappen.
Den Bus in LA zu nehmen scheint nur für merkwürdige Gestalten und Außenseiter zu sein, also solche wie mich.
Ein obdachloser Mann, der an dir vorbei läuft und sagt „Du bist so wunderschön, du könntest ein Filmstar sein!“ und ein Mädchen, das ein paar Stunden später „wunderschön“ unter ein Bild deiner Füße auf Instagram kommentiert.
Chinesische Touristen, die eine Busfahrt entlang des PCH nach Malibu wie eine verrückte Reisegesellschaft anmuten lässt.
Was sonst noch so passiert ist:
Ich war auf dem CalJam Festival und es war spaßig. Unglaublich heiß, natürlich, und Bier kostete $14,50 pro 730 ml Dose, aber gelohnt hat es sich. Royal Blood waren gut und Liam Gallagher hat zum Abschluss ganz kitschig Wonderwall gespielt. Josh Homme war mal wieder komplett zugekokst, er schien gar nicht fassen zu können, wie sehr er seine Zuschauer liebt. Das Haus, in dem ich residierte, war ein wunderschönes Paradies am Ende einer ellenlangen Treppe, die einen aber mit einem wunderschönen Ausblick über LA beschwichtigte. Nachdem ich vier Mal die Treppe hoch- und runtergelaufen bin und abends noch ein bisschen im Griffith Park wandern war hatte ich drei Tage lang Muskelkater in den Beinen. Na ja, und dann bin ich ja nach Big Sur getrampt.
Der Anfang war hart. Ich bin um 7 aufgestanden, kam aber erst gegen 9.30 los, weil ich noch Wäsche waschen musste. Die Busfahrt nach Malibu dauerte c.a zwei Stunden und war merkwürdig. Mit mir zusammen an der Haltestelle wartete eine Gruppe Lateinamerikaner, die sich die ganze Zeit lautstark unterhielten. Unglücklicherweise stiegen sie auch mit mir um, sodass ich die drei noch eine Weile an der Backe hatte. In Malibu angekommen habe ich mir erstmal, Hipster, der ich bin, einen Iced Maple Peacan Latte gegönnt (aber, verdammt, das Zeug ist lecker.) Die erste Mitfahrgelegenheit ließ nicht lange auf sich warten und brachte mich bis nach Oxnard, ca 20 Meilen von Malibu entfernt. Der nächste Fahrer brachte mich nur ein Stück entlang des Highways (innerhalb der Stadt – so ein merkwürdiges System), fragte mich aber nach meiner Nummer und ob wir abends miteinander rumhängen wollen. Ich entgegnete mit einem verwirrten Blick. Danach brachte man mich zur nächsten On-Ramp, aber sehr unpraktisch mitten auf dem Freeway. Glücklicherweise wurde ich dort direkt mitgenommen von dem bis dato ersten und einzigen Fahrer, der mir nicht versicherte, dass ich unfassbar hübsch sei. Er erzählte mir einfach nur 20 Minuten lang von seinem Camp, auf das er sich freue.
Der nächste Typ fragte mich zwar, ob er mir Geld für Sex anbieten kann, war aber sonst sehr nett und harmlos und brachte mich nach Santa Barbara, obwohl er dort eigentlich gar nicht hin musste. Dort steckte ich dann erst mal fest. In der Zwischenzeit hielt ein Mädchen den Verkehr auf, weil es ein Foto von mir machen musste, die Anwohner von gegenüber richteten sich zum Public Viewing meines scheiternden Versuchs ein, jemand stoppte und schenkte mir einen Meteoriten.
Dann gab ich auf und lief zur nächsten Bar. Eigentlich wollte ich nur Internet, um nach zu schauen, ob nicht ein Bus von hier aus vielleicht bezahlbar wäre, denn nicht mal 100 Meilen über einen ganzen Tag verteilt mit ausschließlich absurden Fahrern stimmte mich nachdenklich. Dementsprechend wählte ich meine Lokalität nach dem „Free WiFi“-Sticker an der Fensterscheibe aus. Es war ein Dönerladen. Der Besitzer war Deutscher und sehr nett, wir unterhielten uns, er gab mir ein Bier aus, noch ein Bier, noch ein Bier, ich aß einen Veggiedöner, noch ein Bier, dann wurde der Laden geschlossen und er bot mir ein, dass ich bei ihm übernachten könnte. Das klingt jetzt ziemlich shady, aber er ist einer dieser Menschen, die einfach ein gutes Herz haben. Er wohnte nicht direkt in Santa Barbara, sondern in Carpenteria, einem touristischen Celebrity-Wohnort. Wir gingen eine Runde mit dem Rottweiler, auf den er für seinen Geschäftspartner aufpasst, Gassi, und setzten uns dann mit einer Flasche Bier an den Strand um das Meer und die Sterne zu beobachten. Und der Sternenhimmel hatte es in sich an dem Tag! So viele (vor allem – so intensive) Sternschnuppen habe ich noch nie gesehen. Richtig kitschig fast.
Am nächsten Morgen brachte man mich wieder zurück nach Santa Barbara, und ich startete erneut – nicht ohne vom Postboten auf meinem Weg zum Freeway angehalten zu werden mit der Frage „Na, suchst du immer noch nach einem Lift nach Monterey?“ – anscheinend hatte ich bei den Anwohnern schon einen gewissen Grad der Bekanntheit erreicht.
Meine erste Mitfahrgelegenheit war ein alter Mann auf dem Weg zu seinem Boot. Wir freundeten uns an, und anstatt 10 Minuten brachte er mich über eine Stunde weiter nach Santa Maria und erzählte mir während der Fahrt alles mögliche über das Ökosystem, den Golf- und den Humboldtstrom und Kalifornien. Auf dem Weg legten wir eine kurze Pause ein, in der ich noch weitere Tramper einsammelte. Es war ein Mädchen, das irgendwie gestrandet an einem Rasthof mitten im Niemandsland saß. Nur, dass sich am Ende herausstellte, dass sich ihr ungepflegter Freund im Schatten versteckte.
Von Santa Maria aus nahm mich ein völlig normaler Mittvierziger mit, der mich in einer süßen kleinen Stadt namens Pisco Beach rausschmiss. Dort wollte ich mir eine kurze Pause und etwas zu Essen gönnen, also suchte ich eine kleine Pizzeria auf. Der Kerl, der dort arbeitete, hat anscheinend nicht so viel soziale Interaktion, denn er redete sehr viel. Am Ende hielt ich mich fast eine Stunde in dem Restaurant auf, bekam aber auch zwei Stücke sehr knusprige Käsepizza geschenkt. Dann wurde es absurd.
Ich stand keine zehn Minuten an der Rampe, als ein obdachlos ausschauender Typ vorbeikam. Er wollte offensichtlich auch mitgenommen werden, und ich sah meine Chancen, diesen Ort heute noch zu verlassen, schon gegen Null sinken. Er sprach mich an, erzählte mir, von wo er käme und wo er hinwolle, meinte dann, seine letzte Mitfahrgelegenheit hätte ihm einen 10-Dollar-Schein in die Hand gedrückt, den er jetzt teilen wolle, gab mir $4 und verschwand die Straße hinunter. Ein paar Minuten später kam er wieder und fragte mich, ob ich nicht mit ihm den Bus nehmen wolle, er denke, er hätte genug Geld für uns beide. Ich negierte. Dann beobachtete ich, wie jemand ihm aus einem Auto heraus eine Tüte reichte und wenige Sekunden später, wie dieses Auto für mich anhielt und mir anbot, mich nach San Luis Obispo mitzunehmen. Nicht jedoch, ohne zwischendurch noch mal eine Pause zum Kaffee trinken in einem fancy aussehenden, den Ozean überblickenden Hotel zu machen. Er erzählte mir von seinen Vögeln und was für ein perfekter Mensch er ist – kauft regelmäßig Essen für Obdachlose, gründete eine Non-Profit-Organisation um Kindern Theater- und Konzertbesuche zu ermöglichen, nimmt Tramper mit, wählt demokratisch.
In San Luis angekommen dachte ich, mein Glück sei vorbei, denn die Straße war völlig leer gefegt. Nach nicht einmal einer Minute kam jedoch eine Frau angedüst, deren mobiler Innenraum komplett nach Gras roch und die mir auf dem Weg erzählte, sie hätte ein halbes Jahr zuvor einen Herzinfarkt gehabt. Sie brachte mich nach Peso, von wo aus ich einen Truckfahrer ergatterte, der mich den ganzen restlichen Weg bis Salinas brachte. Er hatte 100 Tauben, von denen er 50 abgeben musste, außerdem stand er sehr auf indische Musik. Er ermöglichte mir den badassigsten Auftritt ever, als sein Truck vor dem ZOB in Salinas vor einer kleinen Menschentraube zum Halten kam und ich samt Schild und Rucksack elegant aus der Beifahrertür auf den Bordstein sprang.
Salinas ist der dubioseste Ort überhaupt, weswegen ich froh war, nach einer auch wieder sehr merkwürdigen Busfahrt nach Monterey direkt abgeholt und nach Big Sur gebracht zu werden. Und hier bin ich also nun, in einem Paradies zwischen Ozean und Bergen. Der Himmel in der Nacht ist übersät mit unzähligen Sternen, der Sonnenuntergang ist das Kitschigste, was ich jemals erlebt habe, das Wellenrauschen übertüncht jegliche negative Stimmung. Gestern habe ich bei der Restauration sterbender Bäume geholfen, heute fahren wir nach Santa Cruz. Ich kann irgendwie nicht richtig glauben, was in den letzten Tagen so passiert ist und wo ich bin, aber es scheint Realität zu sein.
Was für merkwürdige Windungen das Leben manchmal nimmt.