Die Kastanie ist unendlich
Hallo, Berlin, da bin ich wieder.
Aber vorher noch kurz die letzten zwei Tage in California:
Ich bin nicht mit Jen nach LA gefahren, ich habe den Zug („Coast Starlight“, was für ein erhabener Name) genommen. Neben mir saß eine etwas ältere Dame, die mir die ganze Zeit von ihrer Familie erzählt hat, links ein Junge, der sich mein Ladekabel ausgeliehen hat. Die Dame hat uns beide irgendwann zum Dinner im Speisewagen eingeladen, ein Spaß, der immerhin über $60 gekostet hat. Die Zugfahrt hat neun Stunden gedauert, kam mir aber dank der guten Unterhaltung gar nicht so lang vor. Es gibt einen Panoramawagen, in den man sich einfach setzen kann und vor allem als der Zug die letzten zwei, drei Stunden bis LA an der Küste entlangfuhr war der Ausblick von dort wirklich magisch.
Abends war ich dann in einem Club und es ist wirklich furchtbar. Alle sehen gleich aus, sind gleich gekleidet und tanzen, als würden sie sich gleich die Klamotten vom Leib reißen und auf dem Boden Sex haben, völlig obszön. Ich würde ja schon behaupten, dass es schwierig ist, jemanden zu finden, der liberaler ist als ich, aber das war mir dann doch zu viel. Dazu noch die schreckliche Musik – lange habe ich es dort nicht ausgehalten. Zuhause angekommen haben wir schnell Tacos gemacht und dann wurde ich von der merkwürdigen Angewohnheit meines Hosts, alle zwanzig Sekunden seine Hand fünf Mal gegen die Stirn zu schlagen völlig verstört. Ich kriege heute noch Alpträume von dem Geräusch, es ist mir ein Rätsel, warum er das tut und er scheint es nicht ein mal zu merken.
Was mir in dem Zuge auch aufgefallen ist, dass Männer, wenn sie abgewiesen werden, immer nach irgendwelchen dubiosen Gründen suchen, anstatt einfach zu akzeptieren, dass man einfach nicht auf ihn steht. „If you were into black guys…“ – nein, mein Freund, das hat damit überhaupt nichts zutun. I’m into nobody in particular. And particularly not into you, and that’s it. Nun, was auch immer.
Was bleibt aus Kalifornien ist die Sommerbräune und die ausgebleichten Haare – zumindest für eine Weile. Was bleibt sind die kleinen mindshifts und die Erinnerungen und natürlich das Tattoo über meinem Knöchel.
Was nicht bleibt ist dieser gigantische Haufen amerikanischer Handynummern, Jesus, die muss ich aussortieren und löschen.
Der Rückflug war langweilig, ich habe einen Film geschaut, „gifted“, einer dieser Filme, bei denen ich hinterher darüber nachdenke, was aus mir geworden wäre, wenn ich Eltern oder Lehrer gehabt hätte, die mich und mein Machen unterstützt hätten. Schlafen konnte ich irgendwie nicht so wirklich, dafür am Flughafen in Heathrow ein bisschen. Sabina hat mich in Berlin abgeholt und es war sehr nett, sobald ich meinen Kopf zwischen den Kissen hatte bin ich kompromisslos eingeschlafen und bis Montag um 11 nicht mehr aufgewacht.
Montag wurde irgendwie absurd, weil ich eigentlich nur meinen Bafögkram und anderes Bürokratiezeugs erledigen wollte, Daria aber gegen 13h beschlossen hatte, jetzt vorbeizukommen, also erledigte ich dies mit Daria im Hintergrund, die irgendwann Logan anrief und ihm sagte, er könne auch gerne kommen, woraufhin Logan am Telefon erzählte, er hätte ein Verbrechen begangen. Als er hier war bat er um Alkohol, da er ansonsten nicht darüber reden könnte – es war zu dem Zeitpunkt so c.a. 15h – also öffneten wir eine Flasche Sambuca (das einzige, logischerweise, was wir im Haus hatten) und tranken jeweils zwei Shots. Auf magische Weise fand sich auch noch eine Flasche Wein, die wir leerten, während Logan uns erzählte, wie er bei einer Nacktdatingshow mitwirkte.
Daraufhin mussten wir erst mal wieder runterkommen, also sagte Daria ihr Date ab und wir fuhren zu Logan, um seine neue Ernte zu probieren. Da Sabina aber abends zum kochen vorbeikommen wollte, packten wir nur schnell alles ein und spurten wieder zurück zu mir. Dann kündigte sich auch noch Max an und aus meinem besinnlichen Bafög-und-Sabina-Tag wurde eine mini Taco-Party mit fünf Flaschen Wein, fünf Leuten und jeder Menge Tacos.
In diesem Stil zog sich der Rest der Woche auch weiter, irgendwie fand ich immer was zu tun. Dienstag war ich bei Alex, und als ich ankam war er schon fürchterlich angetrunken, was witzig war. Er erzählte mir, dass er wahnsinnig schlecht im Ausschneiden sei und am Ende lagen wir im Bett und dachten über Anagramme zu Mein Kampf nach. Das lief ungefähr so:
Er: Ich werde ein Buch schreiben nur bestehend aus Anagrammen aus Mein Kampf.
Ich: Das wird dann aber ziemlich einfach.
– Stille, beide überlegen –
Er: Es wird ein Diätbuch.
Ich: Ja man, Knie Mampf, daran habe ich auch gerade gedacht!
Er: Ich dachte Kein Mampf. Und ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass das hier gerade eine einzigartige Situation in Berlin war: zwei liegen im Bett und denken unabhängig voneinander über Anagramme von Mein Kampf nach..
Ich mag diesen Typen.
Mittwoch war Bandprobe, Donnerstag war ich nach dem Training bei einem englischsprachigen Poetry Slam, bei dem Logan auch vorgelesen hat und es war großartig. Freitag war ich mit Daria beim Pilates (!), dann arbeiten. Samstag musste ich auch arbeiten, dann war die Halloween-Party von Karl. Ich bin als Van Gogh gegangen und das führte zu lustigen Interaktionen mit einem Brezelverkäufer, der mich fragte, ob ich denn so hören könne und als ich sagte, ich hätte mir im Absinthwahn das Ohr abgeschnitten schlug er sich völlig schockiert die Hand vor den Mund. Heute hatte ich ein Fußballspiel welches wir 2:3 verloren und das war meine letzte Woche. Heute hat auch seitdem ich wieder hier bin die Sonne geschienen, sonst die ganze Zeit nur Unwetterwarnung und Sturm und Regen und kalt und nass und ungemütlich und ich will nur kuschelnd kakaotrinkend in eine warme Decke gewickelt bei Kerzenlicht Zuhause sitzen und über Anagramme nachdenken, aber ich muss morgen aufräumen und einkaufen und dann ist WG Party und Dienstag ist frei und ich muss ganz viel Unikram machen und dann geht der ganz normale wöchentliche Wahnsinn wieder von vorne los und das ist so das, was momentan in meinem Leben passiert. Willkommen.