Ein alter Hut

Ganz vorab: ich mag es hier irgendwie. Hier, damit meine ich New York, damit meine ich die USA. Es ist so lebhaft, so bunt und laut. Laut, das ist es vor allem. Man kommt kaum zur Ruhe. Vielleicht ist es das, was sie meinen, wenn sie von der „Stadt, die niemals schläft“ sprechen, denn rund um die Uhr ist Trubel, ist Geräusch, ist Action. Das ist in Berlin nicht so. Wenn man dort Sonntag morgens um 9 mit der Ubahn fährt, blicken einem lauter verschlafene, zerfeierte oder überarbeitete Geaichter entgegen. Hier scheinen alle die maximale Energie zu besitzen, immer. Das lässt die Amerikaner auch oft sehr aufgedreht wirken. Ich war heute in einem kleinen Restaurant mit vegetarischem mexikanischem Essen und ich konnte mich während meiner Bestellung vor all dem „It’s great, isn’t it? So amazing! Do you want anything else? Yes, it’s awesome!“ gar nicht genug hinter meiner Serviette verstecken. Beim Check-In im Hostel, beim Frühstück, beim Einkaufen, überall ist immer alles und zu jeder Zeit ganz aufregend. In Deutschland hat man Glück, wenn einen die Leute, mit denen man im täglichen Leben zu interagieren versucht, überhaupt wahrnehmen. Ich finde das ein bisschen anstrengend. 

Aber ich fühle mich wohl, fühle mich richtig. Während ich in einem Café auf der 1st Avenue sitze, an einem Café Au Lait nippe und gedankenverloren den Schnee beobachte, der sich langsam wirbelnd auf der Straße ausbreitet, habe ich das Gefühl, dass das genau der Vorstellung meines Lebens entspricht – zumindest derjenigen, die andere wahrscheinlich haben, wenn sie versuchten, sich zu überlegen, was ich denn eigentlich so machte. 

Ich könnte hier ganz glücklich und entspannt sein und meine Tage vor Beginn meines Auslandssemesters genießen, wäre nicht alles so wahnsinnig teuer. Und hätte ich in meiner gesamten Planung nicht so wahnsinnig versagt. Auf meinem Flug hierhin saß ich neben einer Französin, die für ein Praktikum nach New York flog und die ganz aufgeregt war. Sie konnte gar nicht fassen, dass das wirklich passiert, und als wir in der Schlange für die Passkontrolle standen und alles natürlich direkt so furchtbar amerikanisch war, Flaggen hier und dort und Menschen reden wild durcheinander, dachte ich, sie bricht gleich zusammen. Ich hätte auch gerne so viel Aufregung, vielleicht habe ich es mit dem Reisen in letzter Zeit ein bisschen übertrieben, aber ich bin ganz ruhig. Ich wollte ja immer in die Staaten und jetzt, da ich hier bin, fühlt es sich so kolossal normal an, banal eigentlich. Und ein bisschen wie eine riesige Geldverschwendung. Vielleicht ist der Unterschied diesmal aber auch, dass es kein Weg-von – ich kam ja aus St. Petersburg und habe dort eigentlich nicht viel gemacht, weil wir die meiste Zeit auf der Datscha waren –  sondern ein eindeutiges Hin-zu und dazu noch ein irgendwie versucht vorab geplantes. Organisation, das ist einfach nichts für mich. 

Wie dem auch sei, diese Reise ist recht erleuchtend. Ich habe viel Zeit für mich und zum Nachdenken, auch ein Novum, weil ich ja permanent am selben Ort bin, noch dazu allein. Ich glaube, alleine reisen ist gut zur Überwindung meiner sozialen Merkwürdigkeit und damit einhergehende Ängste und Unsicherheiten. Ich wäre jedoch gerne trotzdem im Gesamten ein bisschen weniger verschüchtert, das würde die Sache doch um einiges erleichtern. Man glaubt mir das ja immer nicht, dass ich so introvertiert bin, aber es ist doch wahr. Ich brauche Ewigkeiten, bis ich einen Ort gefunden habe, an dem ich essen oder Kaffee trinken möchte, weil ich schnell genug Zugang zu sämtlichen wichtigen Informationen das Geschäft betreffend haben muss, sobald ich eintrete, um nicht länger als nötig mit den Kellnern reden zu müssen. Oder, schlimmer, irgendwo rein- und dann direkt wieder hinausgehen müssen, weil einem das Menü doch nicht zusagt, oder die Preise teurer sind als gedacht. Ich möchte nicht irgendwo stehen bleiben, um Googlemaps kundig zu machen, um niemandem aufzufallen oder den Verkehr zu blockieren. Aus dem selben Grund frage ich auch nicht nach dem Weg. Ich würde gerne zu mehr Couchsurfing-Treffen gehen, aber dazu müsste ich vor Ort herumfragen, wer denn dazugehört, und wo man sitzt. Überhaupt frage ich nie nach, wenn ich etwas nicht verstehe. Ich habe einfach Angst davor. Das alles ist sehr ärgerlich, und unpraktisch, und bremst mich wahrscheinlich sehr aus. Aber ich kann es einfach nicht ändern. Ich möchte niemandem auf den Keks gehen. 

Es ist für meine Verhältnisse auch bisher nicht viel aufregendes passiert. Ich wurde beinahe als Pole Dancer angeheuert, aber das ist auch schon alles. Morgen kommt Ansgar, mal schauen, was das so bringt. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert